Virtuelle Raubritter und Leibeigene

ILLEGALE DOWNLOADS Der Plattenmulti Universal und der Streamingdienst Grooveshark streiten sich um Urheberrechte, zum Schaden von Musikern

Am 18. November reichte die Universal Music Group in New York Klage gegen den Betreiber des Musikstreamingdienstes Grooveshark ein. In der Klageschrift wird behauptet, Grooveshark habe seinen Nutzern wissentlich und planvoll illegal Musik zugänglich gemacht. Unter anderem hätten leitende Angestellte selbst Titel auf die Plattform hochgeladen und auch ihre Untergebenen zum Beispiel mit einem Bonussystem dazu angehalten, es ihnen gleichzutun. Zu den der Klage beiliegenden Beweisdokumenten gehören neben langen Listen von Titeln, deren Rechte bei Universal liegen, auch Auszüge des Grooveshark-internen Mailwechsels.

Aus dieser Korrespondenz deutlich ersichtlich ist das prinzipielle Geschäftsgebaren des Streamingdienstes. Aufschlussreich sind Äußerungen von Sina Simantob, einem profilierten Immobilienmakler, Ingenieur und Geldanlagespezialisten, der als Investor zum knallhart kalkulierenden Chairman des ursprünglich studentischen Internet-Start-ups geworden ist. Unverblümt legt Simantob dar, dass das Unternehmen durch die Einwerbung möglichst vieler Nutzer und die damit avisierte Marktführerschaft sich als starker Verhandlungspartner gegenüber den Rechteinhabern positionieren wolle. Klar wird auch, dass der Erwerb der Lizenzen für die angebotene Musik am Ende des Prozesses stehen würde und nicht an dessen Anfang. Das erinnert in der Tat an frühneuzeitliches Raubrittertum: Raubritter, die eine kaiserliche Domäne so oft aus sicherem Hinterhalt überfallen, bis sie den mächtigen Eigentümer zwingen, die bislang ergaunerten Einkünfte aus der Domäne zu legalisieren.

Was Simantob und seine Geschäftspartner jedoch übersehen haben: Wenn die Klage der Universal Music Group Erfolg hat, werden die Raubritter, um im Bild zu bleiben, ohne große Umstände am nächsten Baum aufgeknüpft. Wer dabei außen vor bleibt, sind die Bauern der Domäne: Musiker und Autoren. Sie kommen im zitierten Schriftverkehr schlicht nicht vor. Auch in der Klageschrift selbst sind sie nicht mehr als austauschbare Katalognummern – Eigentum von Universal eben und nicht selbstständig kreative Individuen. Es könnte der Eindruck entstehen, dass niemand je eine Gitarre in die Hand genommen hätte, wären da nicht die Plattenfirmen.

Das Problem der Künstler wird kaum irgendwo deutlicher: Während die Schlachten um die Marktmacht geschlagen werden, stehen sie hilflos daneben und müssen sich entscheiden, ob sie ihr Publikum und ihr Einkommen mithilfe der maroden und profitorientierten Musikmultis oder deren skrupellosen Herausforderer finden wollen.

Unterdessen schlagen sich diverse Einkommensmillionäre auf die Seite ihrer Plattenfirmen und der Verwertungsgesellschaften wie der Gema, genauso wie völlig unbekannte Bands ihre Musik lieber kostenlos im Internet verbreitet sehen, statt gänzlich unbeachtet zu bleiben.

Was aber mit all denen passiert, die durchaus Chancen auf ein in Maßen zahlendes Publikum hätten, steht in den Sternen. Die derzeitige Neusortierung des Marktes trifft vielleicht den einen oder anderen Marktführer empfindlich und mag bisweilen ungeschickt vorgehende Raubritter ins Verderben stürzen; sie fordert ihre blutigsten Opfer aber dort, wo Musik wirklich entsteht: in kleinen Studios, bei tourenden Bands mit kleinen Fangemeinden und bei mutigen, ausgewählte Geschmäcker bedienenden Hinterhoflabels und Konzertveranstaltern.

Der jüngste Versuch des Independent-Vertriebs ST Holdings (siehe taz vom 25. November), die unhaltbare Situation der Kannibalisierung der Verkäufe der kleinen Labels durch die Kündigung des Vertrages mit dem legal operierenden Musikstreamingdienst Spotify zu ändern, ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Ob es diesen mehr oder weniger Unabhängigen gelingt, einen eigenen überlebensfähigen Markt zu schaffen, wird von ihrem technischen Know-how, geschäftlichem Geschick und nicht zuletzt von der Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit ihrer potenziellen Kundschaft abhängen. DANIÉL KRETSCHMAR