„Du bist uns unangenehm“

Die Ausweisungspraxis der Bremer Behörden fußt historisch auf hanebüchenen „Kategorien“, wie Universität und Shakespeare Company mit einem Projekt vor Augen führen. Heute gibt es wenigstens ein Widerspruchsrecht

„Es ist ein ganz vernünftiger Grundsatz, an dem der Staat unbedingt festhalten muss. Ein jeder Fremder kann sofort ausgewiesen werden mit der einfachen Erklärung: Du bist uns unangenehm“, schrieb der Staatswissenschaftler Heinrich von Treitschke 1898 – und prägte damit die herrschende juristische Lehrmeinung der folgenden Jahrzehnte.

Welche Folgen dieses Verständnis staatlicher Souveränität für in Ungnade gefallene EinwandererInnen hatte, illustriert nun eine Projekt des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen. Mit Akten des Bremer Staatsarchivs zu 14 Ausweisungsverfahren aus den Jahren 1921 bis 1926 entwickelten Studierende und die Shakespeare Company eine szenische Lesung für den großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts.

So verhandeln sie den Fall des Josef Lewkowsky, eines vermögenden Kaufmanns aus dem polnischen Bialystok. Seine Familie wird von der Polizeikommission des Senats als grundsätzlich unerwünschte „Ostjuden“ des Reichs verwiesen. Es sei „amtsbekannt“, dass „die deutschfreundliche Gesinnung polnischer Juden lediglich Aspekten des persönlichen Vorteils“ geschuldet sei. Das Ehepaar Lewkowsky hatte wegen antijüdischer Pogrome in Polen drei Jahre für die dortige deutsche Militärverwaltung gearbeitet. 1922 übernahmen sie in der Bremer Bergstraße ein Kurzwarengeschäft. Nur zwei Monate nach ihrer Ankunft in der Stadt wurden sie ausgewiesen.

„Lästig“ konnte jeder fallen, diese juristische „Kategorie“ war nicht weiter normiert. Die allein zuständige senatorische Polizeikommission war keiner Revisionsinstanz Rechenschaft schuldig. Schon damals kritisierte der Jurist Ernst Isay diese Praxis als „Enklave des Polizeistaats inmitten des Rechtsstaats“.

Ähnlich wie Familie Lewkowsky erging es dem Arbeiter Siegfried Thurik, der drei Jahre für Deutschland im I. Weltkrieg kämpfte. Weil er sich im Oktober 1923 einen einzigen Tag lang in Farge an einem Streik beteiligte, musste er mitsamt seiner Familie die Stadt verlassen, in der er 20 Jahre gelebt hatte. Dass eine Streik-Verweigerung zu Misshandlungen durch die Kollegen geführt hätte, seine neue Arbeit beim Bau der Hauptpost, das Versprechen, „fernerhin an keinen politischen Unruhen teilzunehmen“ – es nützte alles nichts.

Die vorgetragenen Aktenprotokolle beklemmen weniger durch die sich offenbarende behördliche Kaltherzigkeit. Was schockiert, ist die endlose Aneinanderreihung von Demutsformeln. Selbst bei tadellosem Leumund treten die Bittsteller mit heute unvorstellbarer Unterwürfigkeit vor die Senatskommission. Niemand, der sich nicht buchstäblich in den Staub warf, hatte vor der dort versammelten Clique deutschnationaler Rassisten eine Chance, sein Recht zu behaupten. Der Diebstahl einer Flasche Öl, Hehlerei mit einem Schaf, die vermeintliche Kuppelei einer Wirtin – aus vielerlei Gründen, so Projektleiterin Eva Schöck-Quinteros, „verlor man in der Weimarer Republik das Recht auf Aufenthalt und wenige Jahre später schließlich das Recht auf Existenz“.

Auch heute könne ausgewiesen werden, wer „die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt,“ schreibt die Bremer Juristin Christine Graebsch in ihrem Kommentar zur Lesung. Im Gegensatz zu früher hätten Ausgewiesene nun jedoch ein normiertes Widerspruchsrecht. Gleich geblieben sei jedoch, „dass nicht nur das konkrete Verhalten eines Menschen als störend betrachtet wird, sondern die Person des Ausländers als solche.“ Und deshalb werde noch immer weggeschickt, wer als störend gelte, statt die Maßnahmen zu ergreifen, die für das gleiche Verhalten eines Deutschen vorgesehen seien. Christian Jakob

Weitere Lesungen: 2. Dezember, 11 Uhr; 4. Dezember, 19 Uhr