berliner szenen Nordwind-Festival

Soundfluten

In Prenzlauer Berg trat Samstag nacht ein Schamane in Erscheinung. Als solcher jedenfalls wurde der finnische Akkordeonkünstler Kimmo Pohjonen angekündigt. Ein Schamane ist laut Wikipedia jemand, der durch Trance und Ekstase eine Mittlerrolle zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt einnimmt und seine Fähigkeiten für die Gemeinschaft einsetzt. Es klappt wirklich, auch wenn es nach harter Arbeit aussieht: Auf der Bühne des Kesselhauses holt der Musiker mit nackten Armen, schweren Stiefeln und gerunzelter Stirn die Seele aus seiner Ziehharmonika und schickt die Zuhörer aus der Stadt in die Natur. Er entlockt seinem Instrument Geräusche, die bei geschlossenen Augen an Donnergrollen, Regengüsse und ferne Lawinen erinnern. Zwischenzeitlich kommt man sich vor wie am Ozean: Surround-Sound-verstärkt wird das pure Aufziehen und Zusammendrücken des Akkordeons zum gewaltigen Wellenrauschen im Sturm. Genügen Pohjonen die Möglichkeiten seines Instruments nicht mehr, nimmt er die Stimme dazu und schnalzt so saftig ins Mikro, dass man sich auf einmal in einer feuchten Tropfsteinhöhle befindet. Leider schickt er auch noch ein Rudel Wölfe in die Höhle – genau so klingt sein Hecheln und Heulen. Bei wehmütigen, leisen Melodien behandelt der Finne sein Instrument zärtlich wie eine Geliebte; bei orchestralen Klanggewölben wiederum scheint die Ziehharmonika ihn wie eine Urgewalt vom Stuhl zu reißen und in einen wilden Kampf zu verwickeln. Wenn Pohjonen dann mit seinem Akkordeon halb tanzend, halb wankend über die Bühne rennt, weiß man nicht, wer hier eigentlich wen beherrscht. Inspirierend: Beim Rausgehen schnalzen und heulen auch schon einige Zuhörerinnen. ELINA KRITZOKAT