Nimm den Hip, und gib das Life dazu

HIPLIFE Ghana tanzt zum Hiplife. Das Worldtronics-Festival im Haus der Kulturen der Welt stellt heute die elektronische Musikszene aus Accra vor. Diese liefert nicht nur den Sound der Gegenwart, sondern ist auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor des Landes

VON TIM CASPAR BOEHME

Popkultur hat sich hierzulande eine veritable Vergangenheitsfixierung eingefangen. Das ist auch bei der Rezeption afrikanischer Musik nicht anders. Da liegt der Fokus meist auf der jüngeren Vergangenheit. Besonders Wiederveröffentlichungen aus den Siebzigern haben Konjunktur und werden gehandelt, als wären sie die neueste Sache der Welt.

Auch Highlife aus Ghana gehört dazu, jene Musik, die vor rund 90 Jahren aus der Kombination der traditionellen Musik des Landes und Jazz entstand. Die größten Vertreter des Highlife werden, sofern sie noch leben, erst allmählich in Deutschland entdeckt. Dabei hat das Land längst ganz andere Richtungen hervorgebracht, die dort den Ton angeben. Hiplife etwa, der vorherrschende Stil in der ghanaischen Hauptstadt Accra, den das Haus der Kulturen der Welt heute im Programm des Worldtronics-Festival vorstellt.

Hiplife entstand in den Neunzigern und erinnert im Namen nicht von ungefähr zu gleichen Teilen an Highlife und HipHop. Während Highlife von gleichschwebenden Gitarrenlinien dominiert war, übernahmen bei Hiplife quietschende Synthesizer. Die Rhythmen, ein Hybrid aus traditionellen Elementen und HipHop-Beats, kamen aus dem Drumcomputer. Das neue Genre revolutionierte die Musikszene des Landes.

„Wir nahmen den Hip und fügten das Life hinzu“, fasst der Musiker Kwaw Kese bündig zusammen. Er selbst ist als einer der bekanntesten Vertreter des Hiplife nach Berlin gekommen, um seine Mischung aus Hiplife und Rap zu präsentieren. Es ist seine erste Deutschlandreise.

Auch sein Kollege Appietus, ebenfalls ein prominenter Hiplife-Produzent, war noch nie zuvor in Deutschland. Er stellt zunächst einmal klar, warum Hiplife einen so starken Einschnitt in ihrem Land bedeutete: „Vorher kannten wir nur Highlife. Dann kam etwas Neues, und alle sind sofort von Highlife zu Hiplife umgestiegen. Sie waren der Gitarren einfach müde.“

Natürlich konnte selbst dieser Umsturz die Highlife-Tradition nicht völlig hinter sich lassen. Sie existierte weiter, wurde aber mehr und mehr zu einer Veranstaltung für ältere Leute. Und längst gibt es schon wieder eine neue Richtung, die das nächste große Ding in Ghana zu werden verspricht: Azonto Music, eine Weiterentwicklung von Hiplife, für deren Rhythmus ein Tanz, der Azonto, die Vorlage lieferte. „Was mich immer erstaunt hat“, pflichtet Kwaw Kese seinem Kollegen bei, „ist der Umstand, dass es auf der Welt so viele Musikstile gibt. In den USA haben sie Rock, Funk, HipHop und R&B, lauter unterschiedliche Musikarten. In Ghana hatten wir nie so ein Gefühl. Wir gewöhnen uns erst langsam daran. Es gab halt einfach nur eine Sorte Musik: Highlife. Überall. Dann kam Hiplife hinzu, und jetzt haben wir Azonto. Aus einer Art von Musik haben wir drei geschaffen.“

Kwaw Kese hat mit seiner Musik immer mehr verbunden als bloße Unterhaltung. Da er als Kind in Armut aufwuchs, erzählt er in seinen Texten vornehmlich aus der Perspektive von Leuten von der Straße, spricht ihre Gefühle an, die Dinge, die sie durchmachen. Zudem organisiert er Gratisfestivals oder unterstützt Waisenheime und psychiatrische Einrichtungen. Auf die soziale Rolle seiner Musik angesprochen, erwähnt Appietus hingegen zunächst, dass die Regierung Ghanas in diesem Jahr zum ersten Mal 2 Millionen Dollar in die Unterhaltungsindustrie investiert habe. Denn die Musikwirtschaft spiele in dem Land eine wichtige Rolle: „Musik ist zum einen Seelennahrung, sie ist gut fürs Gefühl. Ökonomisch gesehen sorgt sie in Afrika für Arbeit. Ein Musiker kann vielen Leuten Jobs verschaffen, vom Vertrieb bis zu den Veranstaltern, die die Konzerte organisieren. Sogar die Piraten, die seine Musik verbreiten, haben etwas davon.“ Dass die Regierung die Musikbranche fördert, sei ein klares Zeichen dafür, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft spürbar sind. Außerdem zeigen sich Politiker gern mit Hiplife-Künstlern, um für Wählerstimmen zu werben. Nicht zuletzt deshalb sind sie für die Regierung interessant.

Jetzt aber wollen die Musiker erst einmal über die Grenzen Afrikas hinaus auf sich aufmerksam machen. Kwaw Kese nutzt die Gelegenheit und diktiert gleich einige Internetadressen ins Aufnahmegerät, unter denen ihre Musik zu finden ist: www.ghanamusic.com, www.theblackstarline.com, www.kwawkese.com.

Immer wieder fällt das Wort „Investor“. Krise der Musikindustrie? Nicht in Ghana. Appietus ist sicher: „In ein paar Jahren wird die Musik aus Ghana den Markt übernehmen. Beim nächsten Mal, wenn wir uns sehen, werde ich größer sein als Puff Daddy.“ Er sagt’s und lacht.

■ Ghana Hiplife: heute, 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt