piwik no script img

Familien wollen mitreden

WIDERSTÄNDE II Sinti und Roma nicht nur in Hamburg wünschen sich Gedenktafeln auf Augenhöhe

Sinti und Roma waren, neben den Juden, die einzige Gruppe, die die Nazis aus explizit rassischen Gründen zwangssterilisierten, in medizinischen Versuchen quälten, deportierten und ermordeten. Scharen von Wissenschaftlern mühten sich seit Erlass der Nürnberger „Rassegesetze“ von 1936, in der „rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ eine „Zigeunerdatei“ zu erstellen. Auch die Kirchen gewährten hierfür großzügig Einblick in ihre Unterlagen.

1938 folgte der Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ von SS-Reichsführer Heinrich Himmler, und 1940 gab es die ersten großen Deportationen, die 500.000 europäischen Sinti und Roma das Leben kosteten. Übrig geblieben sind extrem wenige, und auch das Gedenken verlief schleppend: Im Jahr 1982 erkannte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Morde erstmals als Genozid an, und ein zentrales Mahnmal gibt es seit 2012 in Berlin.

Ein solch zusammenfassendes Gedenken ist, anders als Gunter Demnigs Stolpersteine, ganz im Sinne der Community: „Wir favorisieren allgemeine Gedenk- beziehungsweise Informationstafeln oder Denkmäler an möglichst zentralen Orten“, sagt Silvio Peritora vom Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Und wenn es um Stolperstein-Verlegungen gehe, müssten unbedingt die Familien der Betroffenen in die Entscheidung einbezogen werden.

Das hatte man in Hamburg, als vor zehn Jahren Stolpersteine für Mitglieder der Familie Weiß verlegt wurden, versäumt. „Mein Onkel war damals nicht einverstanden damit, dass die Namen mit Füßen getreten würden – und ich sehe das genauso“, sagt Arnold Weiß, Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg. Und Rudko Kawczynski, Präsident des European Roma and Travellers Forum, findet die Stolperstein-Idee gut, aber die Umsetzung unsensibel. Er wünscht sich würdige Gedenktafeln in Augenhöhe.

Die wird es in der künftigen Gedenkstätte am Hamburger Lohseplatz, wo die Deportationszüge der Nazis starteten, geben: In einem 800 Quadratmeter großen Dokumentationszentrum wird auch eine Ausstellung über die Deportationen von Juden, Roma und Sinti zu sehen sein, die schon 2009 im Kunsthaus gezeigt wurde. „Dann haben wir einen würdigen Ort, an den wir gehen können“, sagt Weiß.

Bis dahin aber wird es nur einen Ort in Hamburg geben, wo öffentlich eines ermordeten Sinto gedacht wird: vor der „Roten Flora“. Dort, im einstigen Flora-Theater, errang der Boxer Johann „Rukeli“ Trollmann, Deutscher Meister im Halbschwergewicht, 1933 seinen letzten Sieg als Profiboxer. 1944 wurde er im KZ Wittenberge erschlagen.  PS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen