Gleich mehrfach falscher Meiler

Das größte deutsche Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg wird nicht nur klimaschädlich, sondern auch ökonomisch unsinnig. Das besagt eine Expertise im Auftrag des Bunds für Umwelt und Naturschutz. Betreiber Vattenfall findet die Prognose unseriös

Die Europäische Union hat zugesagt, ihre Emissionen an Treibhausgasen bis 2012 um acht Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 verringern, die Mitgliedstaaten haben sich zu nationalen Klimaschutzzielen verpflichtet. Deutschland hat zugesagt, seine Emissionen im gleichen Zeitraum um 21% zu reduzieren. Deshalb gibt es in der EU seit 2005 den Emissionshandel, der wirtschaftliche Anreize schaffen soll, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren. Den Wirtschaftssektoren und jeder betroffenen Anlage wurden konkrete Minderungsziele zugeordnet und in diesem Umfang Emissionszertifikate kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn ein Unternehmen viel CO2 einspart, kann es überschüssige Zertifikate verkaufen an Unternehmen, die mehr Schadstoffe produzieren als vorgesehen. Bislang sind die Zertifikate kostenlos, dies soll sich ab 2013 vermutlich ändern. Dann müsste für jede Tonne Treibhausgas gezahlt werden. Dadurch würde sich die Wirtschaftlichkeit ökologisch bedenklicher Anlagen verschlechtern und die von sauberen Werken erhöhen.  SMV

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Das vom Vattenfall-Konzern geplante Steinkohlekraftwerk im Hamburger Stadtteil Moorburg „ist ökologisch kritisch, ökonomisch fragwürdig und nicht ohne Alternative“. Das erklärte gestern Martin Pehnt vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Hamburg. Zusammen mit dem Hamburger Arrhenius Institut für Energie- und Klimapolitik hat das IFEU eine Studie über das projektierte Kraftwerk erstellt. Das Ergebnis der 88-seitigen Expertise im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Eine klimafreundliche Stromerzeugung ist mit einem Steinkohlekraftwerk in Moorburg nicht möglich.“

Sinnvoller sei ein alternativer Mix, der auf erneuerbare Energien und Erdgas setze. Dadurch könnten die Emissionen an Kohlendioxid (CO2) bis 2030 auf ein Fünftel gesenkt werden. Zudem würden die Kosten für die Stromerzeugung langfristig um bis 50 Prozent sinken. „Hamburg kann in Sachen Klimaschutz nur dann vorankommen, wenn das Kohlekraftwerk Moorburg nicht gebaut wird“, folgert Hamburgs BUND-Chef Manfred Braasch. Die Planung neuer Kohlekraftwerke mache das Erreichen der deutschen Klimaschutzziele unmöglich.

Nach Pehnts Einschätzung kann durch die Steigerung der Energieeffizienz in der Hansestadt bis 2020 fast ein Drittel des gegenwärtigen Stromverbrauchs vermieden werden. Fast die Hälfte des verbleibenden Bedarfs könnte in 13 Jahren bereits durch erneuerbare Energien gedeckt werden, zum größten Teil durch den Ausbau der Windenergie an und vor den Küsten. Der Reststrom würde bis dahin wie bisher durch bestehende Kraftwerke und noch nicht stillgelegte Atommeiler erzeugt.

Zur Überbrückung eines zeitweiligen Kapazitätsengpasses empfiehlt das IFEU die Errichtung eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerkes sowie die bessere Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung vor allem für die Versorgung von Haushalten mit Fernwärme. Damit bestätigt das Institut im Wesentlichen eine Studie, die Arrhenius und das Bremer Energieinstitut im Juni für den Zukunftsrat Hamburg erstellt hatten. Darin war für 2020 eine Überproduktion von Strom in Norddeutschland errechnet worden – selbst für den Fall, dass alle Atommeiler stillgelegt und kein einziges Kohlekraftwerk errichtet würde.

Dennoch hatten sich der Hamburger CDU-Senat und der Energiekonzern Vattenfall vor knapp zwei Wochen auf den Bau des größten deutschen Steinkohlekraftwerks geeinigt. Ab 2013 soll es 1.640 Megawatt Strom und etwa 650 Megawatt Fernwärme liefern. Die Investitionssumme liegt nach Angaben von Vattenfall bei rund 1,7 Milliarden Euro.

Nach angeblich „harten Verhandlungen“, so Bürgermeister Ole von Beust (CDU) damals, habe er dem Konzern die Zusage abgerungen, zusätzliche 70 Millionen Euro in umweltschonende Technologien zu investieren. Dazu gehört unter anderem die so genannte CO2-Abscheidung, durch die der Ausstoß an Kohlendioxid reduziert werden soll. Für IFEU-Wissenschaftler Pehnt hingegen ist dies „eine reine Rettungstechnologie“. Ob und wann die bislang in einem Pilotprojekt erprobte Technik einsetzbar ist, sei nicht vorhersehbar.

Das Kraftwerk sei allerdings auch nicht ökonomisch sinnvoll zu betreiben, ergänzte Helmuth Groscurth vom Arrhenius-Institut. Die Planungen von Vattenfall basierten auf einer zwei Jahre alten Studie der Prognos AG im Auftrag des Konzerns. Sie gehe davon aus, dass der Emissionshandel kostenlos bleibt (siehe Kasten). Inzwischen müsse aber davon ausgegangen werden, dass die EU für klimaschädliche Emissionen ab 2013 Ablass fordert.

Für Moorburg mit einem jährlichen CO2-Ausstoß von etwa 8,5 Millionen Tonnen würden sich demnach Kosten von 270 bis 300 Millionen Euro pro Jahr ergeben und das Kraftwerk unwirtschaftlich machen. Dies versuche Vattenfall zu verschleiern, so das Szenario Groscurths und von BUND, um mit Großkraftwerken weiterhin den Energiemarkt dominieren zu können. Und wenn auf mittlere Sicht die fehlende Rentabilität den Betrieb der Anlage gefährde, würde der Senat mit dem Hinweis auf gefährdete Arbeitsplätze um millionenschwere Subventionen ersucht werden. Keine Landesregierung, glaubt BUND-Bundesgeschäftsführer Gerhard Timm, „wird da ablehnen können“.

Für Vattenfall-Sprecherin Sabine Neumann stellen sich solche Frage zurzeit überhaupt nicht. Niemand könne „jetzt seriös beschreiben, wie der Emissionshandel im Jahr 2013 aussehen wird“. Selbstverständlich habe das Unternehmen die Entwicklung aufmerksam im Blick. Und deshalb sei Vattenfall „überzeugt, dass das Kraftwerk Moorburg wirtschaftlich zu betreiben ist“.