Ferngesteuert Faxen machen

KUNST UND KIEZ „Chez Icke“ in der Markthalle in der Pücklerstraße bietet eine Mischung aus Performance, Installation und Eckkneipe, digital aufgemotzt

Die so genannten Barvatare sollen wie ferngesteuert durch die Bar laufen

VON RENÉ HAMANN

Es ist dann doch nur Theater. Aber das Ambiente ist ungewöhnlich und irgendwie stimmig: die urige Markthalle an der Pücklerstraße, die unter dem Namen „Markthalle Neun“ erst eben, am 1. Oktober, wiedereröffnet wurde, nachdem sie lange vor sich hin gedarbt hatte; kaltes Licht, eine hübsch arrangierte Bar in einer Holzkiste, aber mit Retroflair und bunten Barhockern, davor zahlreiche Stehplätze und weitere offene Theken mit Buletten und, zur Eröffnung, Freisekt. Und im Hintergrund ein großes „LINIE 36“-Schild, das auf eine weitere Eckkneipe in der Markthalle hinweist, sowie andere verfälschte oder zufällig in den Kontext passende Schilder: „Mate a Photo“ auf dem Fotofix, „120 Jahre auf dem Weg zur Toilette“ ebendort. Junge, interessierte Menschen stehen herum, quatschen und trinken, nur geraucht wird nicht, und eigentlich könnte doch mal was passieren, es ist ja schon fast neun (der Beginn war auf acht Uhr angesetzt) – und was passiert überhaupt, was soll das Ganze?

Es geht um das „Chez Icke“, eine Art kunstinstallierter Bar mit sowohl Digital- wie auch Theateranschluss. HAU-Regisseurin Gesine Danckwart hat sich ein offenes Konzept ausgedacht und führt dann auch höchstpersönlich durch den Eröffnungsabend. Es geht darum, das althergebrachte Konzept der Eckkneipe mit der Szene kurzzuschließen, mit Theater und Treffen, Musik, Kunst und Diskussion. Als ob das nicht von jeher die Idee einer Szenebar gewesen wäre! Aber es gibt auch was Neues: Wer zu faul für den persönlichen Gang vor die Tür ist, kann sich über die Seite chez-icke.com live dazuschalten und interaktiv eingreifen. Die Kunstkneipe wird also in jedem Sinn ein offener, öffentlicher, veröffentlichter Ort.

Trotzdem eine komische Idee, und ob die funktionieren kann, bleibt nach der Premiere am Donnerstagabend fraglich. Denn am Anfang gibt es nicht viel mehr als ein bisschen schlechtes Theater. Halb abgelesene Texte, die recht unoriginell ums Thema kreisen, um Kneipe und Nostalgie und Sozialromantik, dazu hier und da etwas Tagespolitik und ein paar schrille Schlagworte wie „Digitalnutte“, und zwischen diesen dürftig daherkommenden Textblöcken reihenweise Bad-Taste-Lieder (was wiederum zur „kleinen Kneipe in unserer Straße“, der mit Pfeilwurfautomaten, Jukebox und Butzenscheiben passt), mal von Ukulele oder Gitarre, mal von Alleinunterhalter-Synthieklängen begleitet, und im Hintergrund eine vollautomatische Anzeigetafel, auf der erklärende Sätze und Chat-Schnipsel erscheinen.

Und dann wandeln noch die sogenannten Barvatare herum, SchauspielerInnen mit Cowboyhüten, in die kleine Digicams eingearbeitet wurden. Und diese Barvatare sollen wie ferngesteuert durch die Bar laufen, auf Wunsch andere Leute ansprechen und irgendwelche Faxen machen, ganz wie es die User draußen an den Rechnern wünschen.

Klingt also wie ziemlicher Quatsch, das alles, und das ist es wahrscheinlich auch – das Publikum des ersten Abends wird dann schnell unruhig, das allgemeine Gemurmel droht überhand zu nehmen, die meisten schauen schon auf ihre Mobiltelefone. Und das Interessanteste scheint die Anzeigetafel zu sein. Bis der Theaterteil endlich zu Ende ist und die Bar „Chez Icke“ für alle geöffnet wird.

Bars, die von sich aus funktionieren, gibt es ja schon genug, dafür muss man nur einmal kurz durch den Kiez spazieren. Im „Lerchen und Eulen“ zum Beispiel machen die Leute das, was man von jeher in jeder Bar tut: Sie trinken, rauchen und unterhalten sich (und schauen, typisch deutsche Unsitte, sonntags gemeinsam „Tatort“). Manche flirten, manche knutschen, im Hintergrund läuft Musik. Im „Tante Lisbeth“ wird sogar geschwoft, ganz wie in den goldenen Zwanzigern. Und wer Kleinkunst will, ist in manchen Kreuzköllner Kneipen auch gut aufgehoben. Aber wer weiß, vielleicht gibt es im „Chez Icke“ ja doch noch die eine oder andere positive Überraschung. Immerhin haben sich illustre Gäste angekündigt. Wie die Rösinger zum Beispiel. Man weiß ja nie, ob man nicht doch was verpasst. Zur Sicherheit kann man ja mal reinschauen. Und wenn es nur übers Netz ist.