NINA APIN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Auch die Flucht hat eine Tradition

In Potsdam steht schon der Rohbau, am Berliner Schlossplatz kündet eine Info-Box von kommender Herrlichkeit: Preußens Städte bauen wieder Schlösser. Ob der Rückgriff auf die Tradition einer Sehnsucht Rechnung trägt oder ein Versagen zeitgenössischen Denkens darstellt, darüber wurde viel gestritten.

Die Frage nach Schloss oder Nichtschloss scheint nun durch die Freigabe von Bundesmillionen für den historisierenden Entwurf von Franco Stella entschieden. Die politische Debatte über die architektonische Wiederauferstehung der Monarchie wird aber auch nach dem Spatenstich 2013 weitergehen. Einen äußerst unterhaltsamen Beitrag dazu liefert „Das Berliner Schloss. Deutschlands leere Mitte“ (Hanser 2011). Dieter Hildebrandt zeichnet die Geschichte des Schlosses als von Volk und Herrschern ungeliebtes Haus nach und stellt die polemische Frage: Warum wollen wir unbedingt ein Schloss wieder aufbauen, aus dem die meisten früheren Bewohner immer nur wegwollten? Bereits die von Markgraf Friedrich II. erbaute Ursprungsburg erregte den Zorn der Bürger von Cölln und Berlin derart, dass sie die Baustelle fluteten. Der als „Berliner Unwille“ in die Geschichte eingegangene Sabotageakt war erfolglos. Die Burg kam und blieb, der Herrscher zog es allerdings vor, woanders zu wohnen. Kurfürst Joachim I. flieht 1525 mit seinem Hofstaat aus dem Renaissanceschloss vor einer prophezeiten Sintflut. Angst vor dem Schlossgespenst treibt Anfang des 17. Jahrhunderts den Hohenzollern-Kurfürsten Johann Sigismund fort. Dem jungen Friedrich II. gelingt 1730 die Flucht vor Vater und Thron nicht, er meidet als Friedrich der Große das Stadtschloss, in dem er den Philosophen Voltaire festhält.

Dessen im Brief formulierte Klage „Warum bin ich in diesem Schloss?“ ist für Hildebrandt programmatisch. Die Lehre aus den vielen Schlossfluchten lautet für ihn: Schlossfreiheit.

Die Autorin ist taz-Redakteurin Foto: privat