Wie ich versuchte, mich umzubringen

Das Kunsthaus Hamburg hat zusammen mit der Selbstmordambulanz der Uniklinik die Ausstellung „Lebe wohl“ konzipiert. Selbstmord ist demnach ein überwindbarer Zustand, aber auch eine Frage der Inszenierung. Die Selbstmordambulanz hat die Ausstellung nun selbst zu einer Inszenierung benutzt

VON DANIEL WIESE

Vermutlich ist es so: Wenn es um die Existenz geht, sind alle Mittel erlaubt. Und so sitzen in dem strahlend weißen, fabrikhallenartigen Ausstellungsraum des Kunsthauses Hamburg, zwischen Bildern und Installationen zum Thema Selbstmord, die Ärzte. „Lebe wohl“ haben sie die Einladung zu ihrer Pressekonferenz überschrieben. Gemeint ist aber nicht die Ausstellung, die auch so heißt. Gemeint ist die Selbstmord-Ambulanz, vulgo: „Therapiezentrum für Suizidgefährdete“ des Hamburger Universitätsklinikums, die um ihre Stellen bangt, wieder einmal.

„Wir erscheinen viel größer, als wir sind, wir sind nur eine ganz kleine Einheit“, sagt der scheidende Leiter der Einrichtung, der Psychoanalytiker Paul Götze. Der Psychiatrieprofessor ist jetzt privat, aber er hat, wie er sagt, „einige Patienten mitgenommen“ in seine Praxis, auch welche, die nicht privatversichert sind, das sei ja selbstverständlich.

Langzeitherapien, Erfolgsquoten, der Vortrag klingt überzeugend. In der Mitte des Raums steht eine Kegelinstallation, bei der ein Kegel fehlt. Das jemand herausfällt aus dem Spiel darf nicht passieren, so die Überzeugung der Ärzte, wie sollte es anders sein, sie haben ihren hippokratischen Eid geschworen. „Nein, wir stehen nicht auf der Seite des Lebens“, widerspricht einer nach der Pressekonferenz. „Wir stehen auf der Seite des Patienten“, aber bei Fällen wie dem des Philosophen André Gorz, der sich in diesem Jahr mit seiner Frau das Leben nahm, müsste man schon genau hinsehen, das sei schwierig mit so einem alten Paar, dass sich in seine Paarexistenz zurückziehe.

Dass die Ärzte von der Selbstmordambulanz bei der Ausstellung mitgearbeitet haben, sieht man an dem, was man nicht sieht. Selbstmord ist im Kunsthaus, das hinter dem Hamburger Hauptbahnhof liegt, nicht: die letzte Freiheit, die wir uns nehmen und die es vielleicht zu verteidigen gälte.

Stattdessen gibt es Serien wie die der Künstlerin Claudia Reinhardt, die prominente Selbstmorde nachinszeniert hat mit sich selbst als Opfer / Täter. „90 Prozent wollen nicht sterben, sie können nur so nicht weiterleben“, sagt der ehemalige Psychiatrie-Chefarzt Klaus Böhme, den Götze zur Verstärkung mitgebracht hat. Es sei eine Revolution gewesen, als in den USA das Standardwerk „Cry for Help“ erschien. Endlich seien „suizidale Patienten“ als Kranke wahrgenommen worden. Vorher habe in der Medizin, abgesehen von den Patienten mit diagnostizierter „Psychose“, die Ansicht vorgeherrscht, dass diese Patienten mit Selbstmord nur drohen.

Wie sie da zwischen den Selbstmord-Installationen sitzen, sind Böhme und Götze ein ungleiches Paar. Böhme ist ein sloterdijkhafter Typ, er spricht leise und mit halb geschlossenen Augen, seine weißen Haare hat er zur Seite gestrichen. Götze erscheint sehr gepflegt mit Weste, sein Bart ist kurz und akkurat geschnitten, er wirkt erholt. Er kämpft für seine ehemaligen Mitarbeiter, Böhme für die Sache. Das ist die Arbeitsteilung, und der Feind ist auch klar, es sind die Sterbehelfer und „der Herr Minetti“ von der Sterbehilfeorganisation „Dignitas“. Die Diskussion um die Sterbehilfe habe die Wahrnehmung verändert, klagt Böhme, „Suizidalität“ werde als etwas „gesellschaftlich zu Bewältigendes“ dargestellt. Götze sagt, dass die Abbrecherquote bei der psychoanalytischen Langzeitbehandlung, für die er plädiert, „erstaunlich niedrig“ sei.

Der Herr Minetti ist nicht im Saal, aber man kann sich vorstellen, wie die beiden Fraktionen um die gefährdeten Seelen kämpfen. „Kommt zu uns, dann ist euer Leiden vorbei, es kostet auch nicht viel!“ – „Bevor ihr euch umbringt, kommt her zu uns, bei uns könnt ihr reden, wir hören euch zu.“

Noch in den 70er-Jahren sei „Suizidalität eine Contra-Indikation für die Psychotherapie“ gewesen, sagt Professor Böhme, man habe Angst vor der Verantwortung für diese „unsicheren Kantonisten“ gehabt. Selbstmordkandidaten seien in der Psychiatrie nicht gerne gesehen, sagt Psychoanalytiker Götze, weil die Therapeuten sich durch diese Patienten selbst gefährdet fühlen. Zum Glück lerne der Psychoanalytiker, diese Gefühle „adäquat in das therapeutische Setting einzubringen“.

Die Diskussion ist bestimmt noch lange nicht abgeschlossen, Vielleicht ist das aber auch gar nicht möglich, denn der Tod hat viele Gesichter. Die comicartige Autobiografie des Provokationskünstlers Blalla Hallmann, die sich im Kunsthaus über eineinhalb Wände zieht, zeigt neben seinen Drogenerlebnissen in New York diverse Selbstmordversuche. Als er endlich über den Berg scheint, kommt die Diagnose vom Arzt: Leberkrebs. Der Zyklus entsteht 1995. Zwei Jahre später ist Hallmann tot.

Die Ausstellung „Lebe wohl“ läuft bis 2. Dezember, Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 – 18 Uhr