berliner szenen Du lebst meinen Traum!

U 2, Eberswalder Straße

An der Station Eberswalder Straße steht ein junger Mann in engen schwarzen Jeans und weißen Schuhen. Auf seinem T-Shirt ist zu lesen: „Editors“ und darunter „An End Has A Start“. Aus der linken Hosentasche führt ein weißes Kopfhörerkabel über seine Brust und endet in zwei Kopfhörern in seinen Ohren. Er wippt im Takt der Musik, die nur er hört und zu der er die Lippen stumm bewegt.

Etwa zwei Meter neben ihm steht ein vielleicht siebzig Jahre alter Mann, die Hände in den Taschen seiner beigefarbenen Bügelfaltenhose, und schüttelt den Kopf. Mitten im Tanz hält der junge Mann plötzlich inne, greift in seine rechte Hosentasche, holt ein Mobiltelefon heraus und hält es, nachdem er den rechten Ohrhörer am Kabel aus seinem Ohr gezogen hat, ans Ohr. „Ja? Nein, ich bin noch in Berlin. Ich warte auf die Bahn. Ich stehe an der Station.“ Er sieht nach oben, nach links, rechts. „.Eberswalder Straße. Was gibt’s denn?“

Während er zuhört, zieht er den Hörer aus seinem linken Ohr. Er hält das Telefon mit Ohr und Schulter, rollt das Kabel auf und stopft es in die Tasche. Dann nimmt er es wieder in die Hand. „Schwanger? Wahnsinn! Ich freu mich riesig für euch.“ Seine Augen leuchten, als habe jemand ein Feuer in seinem Kopf entzündet. „Das ist so toll, Flo, wirklich! Du lebst meinen Traum!“ Der junge Mann spricht so laut in sein Telefon, dass ihm der alte Mann auf die Schulter klopft und sagt: „Det jeht nich, hier so rumzuquäken, wa!“ Der junge Mann entschuldigt sich mit einem kurzen „Sorry, ich ruf später zurück“ und steckt das Telefon wieder in die Tasche. Ohne auf eine Reaktion des Alten zu warten verlässt er den Bahnsteig und kehrt nach einigen Minuten mit einer Flasche Sekt wieder zurück.

MARTIN SPIESS