„Nicht wieder Opfer werden“

OPFERHILFE Martin Lämmerhirt vom Weißen Ring über den Bandido-Prozess in Kiel, Abmachungen vor Gericht und Schmerzensgeld für die Geschädigten

■ 68, pensionierter Verwaltungswirt. Durch eine Straftat innerhalb seiner Familie kam er in Kontakt mit dem Weißen Ring. Seit 25 Jahren Ehrenamtler für den Opferhilfe-Verein, seit 2009 Leiter der Außenstelle Kiel.

taz: Herr Lämmerhirt, was halten Sie davon, in einer Abmachung das Strafmaß zu deckeln, um einen Angeklagten zum Geständnis zu bewegen, wie jetzt in Kiel geschehen?

Martin Lämmerhirt: Ich finde das in Ordnung – vorausgesetzt, das Opfer wird beteiligt. Was hier ja der Fall war, weil die Nebenklägerin bei der Abmachung anwesend war. Dadurch kann ein Prozess drastisch verkürzt werden, und der Staat spart Geld.

In dem Prozess wurde auch gleich noch das Schmerzensgeld festgelegt, das der Nebenklägerin zusteht. Eigentlich sind das ja zivilrechtliche Ansprüche…

… die aber, wenn sie im Strafprozess gleich mit geregelt werden, für das Opfer von Vorteil sind. Diese so genannten Adhäsionsverfahren finden viel zu selten statt. Wenn das Opfer einer Straftat nach dem Strafprozess noch in einem Zivilprozess seinem Schmerzensgeld hinterherlaufen muss, wird es ein weiteres Mal viktimisiert.

Sie meinen, es wird nochmals zum Opfer gemacht.

Ja. Das erste Mal natürlich während der Straftat selbst, und dann nochmal vor Gericht. Das Opfer sollte nicht wieder zum Opfer werden. Die Gefahr einer weiteren seelischen Belastung ist da meist sehr groß. Das sehe ich schon, wenn ich ältere Damen vor Gericht begleite, denen die Handtasche geklaut wurde. Ich muss ihnen immer die Hand halten. Das Opfer erlebt nämlich meistens vor Gericht die Straftat wieder. Erst recht während der Befragung durch den Verteidiger, die ja naturgemäß oft hart ist. INTERVIEW: EMS