Belgiens Frankofone Elite hat Angst

betr.: „Das Land des Surrealismus“, taz vom 26. 11. 07

Der Surrealismus Belgiens, den Sie als Leitmotiv benutzen, rührt daher, dass die Präferenzen der politischen Elite so auseinanderlaufen. Vor allem der flämische Christsoziale Yves Leterme selbst tanzt ständig auf Eiern innerhalb seiner kleinen Formation (innerhalb Belgiens aber der größten: sage und schreibe 17 Prozent der Stimmen!): hier seine traditionelle mittelständisch-konservative Wählerschaft, die die Misswirtschaft Belgiens nicht mehr erträgt, da die traditionelle staatstragende Arbeitnehmerbewegung, die das Monopol auf das von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden verwaltete und aus Lohnbeiträgen finanzierte soziale Sicherungssystem nicht aus den eigenen in die Hände des Parlamentes geben will.

Dass die französischsprachige, von flämischen Transfers lebende Elite Angstparolen verbreitet und so seine konservative Position festigt, ist verständlich, ebenso wie das eiserne Festhalten an der Bezeichnung „le flamand“, um die Sprache der 6 Millionen Flamen zu diffamieren anstatt sie als Niederländisch und so als mittelgroße europäische Sprache von 23 Millionen Europäern ansehen zu wollen.

Zum Schluss: Die Abstimmung über die Abschaffung der Privilegien für Frankofone im Brüsseler Stadtrand fand statt im belgischen Parlament und war deshalb wirkungslos: das Grundgesetz verbietet de facto Mehrheitsabstimmungen, ein System institutionalisierter Vetomächte, das die belgische Entscheidungsfindung in fast allen Bereichen paralysiert und eine kollektive Willensbildung unmöglich macht. DIRK DE BIÈVRE, Antwerpen, Belgien