WER MACHT SICH IN DER U-BAHN ÜBERPROPORTIONAL BREIT UND FURZT IN DER BAR BEDENKENLOS MITMENSCHEN AN?: Raumgreifende Menschen
MARTIN REICHERT
Um meine feministische Kollegin W. aus B. zu zitieren: Männer nehmen alleine aufgrund ihrer Körpergröße und ihres Gewichts überproportional viel Platz ein. Außerdem würden wir den Frauen auf diese Weise die Luft zum Atmen wegnehmen. Ich habe bislang nie einen Grund dazu gesehen, auf ihre Argumentation einzugehen. Erstens kann ich nichts dafür, dass sie so klein und zierlich ist, und zweitens hat sie rund um ihren Schreibtisch viel mehr Platz als ich selbst. Und überhaupt ist meine bescheidene Körpergröße von 1,85 Metern nicht als Affront gemeint, niemandem gegenüber.
Dachte ich zumindest. Doch dann kam es zu einer „Neulich-in-der-U-Bahn“-Situation: Drei junge Mädchen, so um die fünfzehn, betreten den Waggon. Zwei finden Platz, die Dritte muss stehen – obwohl gegenüber noch ein Platz frei wäre, wenn die sich bräsig auf der Sitzbank räkelnden Herren der Schöpfung ein wenig Platz machen würden. Inmitten dieser Herren saß auch ich.
Nun bat eine der jungen Damen freundlich, doch ein wenig Platz zu schaffen, damit auch die Freundin sich setzen könne. Nun gut, es handelte sich um eine Freundlich- oder Höflichkeit, die man landläufig eher in Berlin antrifft. „KÖNNT IHR NISCHMAH PLATZ MACHN? KANN SIE DOCH AUCH SITZN.“
Es war in der Tat überhaupt kein Problem, durch ein wenig Zusammengerücke und Beingefalte zusätzliche Sitzfläche zu schaffen. Die Fahrt hätte nun ihren normalen Gang nehmen können. Doch dann flippte einer der im Waggon anwesenden Herren plötzlich aus – obwohl er vom Gerücke gar nicht betroffen war: „WENN DU MEHR PLATZ HABEN WILLST, DANN NIMM ERST MAL AB, DU SCHLAMPE.“
Ich blickte mich um – war da vielleicht jemand mit der Kamera, um einen Lehrfilm mit dem Titel „Grundkurs Feminismus“ zu drehen? Junge, leicht übergewichtige Frau fordert ihr Recht auf Platz im öffentlichen Raum, der von sich überproportional breitmachenden Männern in Anspruch genommen wird. Ein deutlich übergewichtiger, breitbeiniger Mann weiß darauf sofort die richtige Antwort.
Es war eine sehr unangenehme Situation – doch zum einen setzten sich die jungen Frauen mutig zur Wehr, unterstützt von einem Mitreisenden. Und zum anderen konnte der Aggressor keineswegs mit Akklamation rechnen – er trat an der nächsten Station Flüche ausstoßend den Rückzug an.
Ein Extremfall, wie aus dem Lehrbuch. Aber wie oft achtet man als Mann darauf, mit welcher Selbstverständlichkeit man den Raum „in Besitz“ nimmt?
Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe
Freitag Heiko Werning Tiere
Montag Ingo Arzt Millionär
Dienstag Sonja Vogel German Angst Mittwoch Anja Maier Zumutung
Den vorläufigen Höhepunkt einer solchen Männlichkeits-Performance erlebte ich neulich in einer Bar. Ein bestimmt zwei Meter großer Mann wandte mir und einer Freundin ostentativ seinen Rücken zu und drängte uns somit in die Ecke. Aber dabei ließ er es nicht bewenden. Denn wir, kleine Wesen im Windschatten seiner selbst, waren gerade noch seiner Abluft würdig. Bedenkenlos furzte er mehrmals entspannt in unsere Richtung.
Kollegin W. hat völlig recht. Solche Männer können einem wirklich die Luft zum Atmen nehmen.
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