Der rosige Teint der Alkoholliebhaber

Das ist nicht Adult Rock, das ist Geriatric Rock – und das definitiv leiseste Konzert der Welt dazu: Die Dubliners geigten, flöteten, klampften und trommelten am Freitagabend auf ihrer „It’s too late to stopp tour“ im Tempodrom

Gegen das Folkquintett wirken selbst die Rolling Stones wie überagile Teenager

Die Dubliners werden heute gerne als Urväter des Irish Folk bezeichnet. Sie gründeten sich 1962 zur Zeit des „Ballad booms“, den das amerikanische Folkrevival in Irland ausgelöst hatte. Der Bandname geht auf die Kurzgeschichtensammlung von James Joyce zurück, ihre erste LP trug folgerichtig den Titel „Finnegans Wake“. Mit dem Lied „Seven Drunken Nights“ hatten The Dubliners bereits den ersten großen Erfolg und eines ihrer Grundthemen, Alkohol, gefunden. Irland an sich, die Liebe und das Auswandern kamen thematisch hinzu, und so nahmen die „irischen Hausdegen“ und „raubeinigen Inselbewohner“, wie sie seitdem gerne in Deutschland genannt werden, unzählige Platten auf, reisten um die Welt und seit 25 Jahren in der Vorweihnachtszeit nach Deutschland.

Am Freitag kamen sie mit der „It’s too late to stopp tour“ ins Tempodrom. Von den Urdubliners ist nur noch Barney McKenna dabei, zahlreiche Umbesetzungen sind in einer 46-jährigen Bandgeschichte nichts Ungewöhnliches, drei Bandmitglieder sind gestorben, andere mussten krankheitsbedingt aufhören. Und der Rest sieht leider auch nicht besonders gut aus, trotz des rosigen Teints der Alkoholliebhaber. Gegen das Folkquintett, alle um 1940 geboren, wirken selbst die Zombies von den Rolling Stones wie überagile Teenager.

Vier der alten Herren stehen mit ihren Instrumenten, Geige, Flöte, Gitarre und Trommel, auf der schmucklosen Bühne. Gründungsmitglied Barney McKenna ist nicht mehr gut auf den Beinen, über weite Strecken des Konzerts sitzt er geistesabwesend auf dem Stuhl. Das ist nicht Adult Rock, das ist Geriatric Rock und das leiseste Konzert der Welt – selbst direkt vor den zierlichen Boxen hört man die Unterhaltung der Zuschauer lauter als die Musik.

Trotzdem sieht man bei Balladen wie „Dublin in the Rare Auld Times“ gestandene Männer mit Tränen in den Augen, in den ersten Reihen singen junge Frauen bei „The Rose of Allendale“ Wort für Wort mit, und auch einige Kuttenträger mit Zöpfchenbärten stehen ergriffen beisammen. Schließlich haben Heavy Metal und Irish Folk einiges gemeinsam: die Liebe zum Männerbund, zum Bart und zum Bier.

Wer dachte, dass sich bei den Dubliners Irish Folk mit starker Beschleunigung und lebensfroher Punkattitüde vermischen, der irrte. Die Dubliners sind nicht die Pogues, sondern eher Roger Whitaker und spielen weichgespülten Kaufhausfolk. Dabei wird Barney von seinen Bandkollegen stets wie ein Unzurechnungsfähiger in der dritten Person angesprochen: „Is Barney ready for a song?“

Mühsam erhebt sich der alte Mann, der wegen starker Diabetes auch kaum noch sieht, und hebt dann zu einer langen, teils unverständlichen, teils zerfaserten Ansprache an. Nun rührt einen der gebrechliche Körper eines alten Menschen immer, aber um Barney macht man sich regelrecht Sorgen. Wie lange wird das Bandfaktotum noch mitgeschleppt? Aber die brüchige Stimme festigt sich mit der Zeit, und erstaunlicherweise spielt er auch noch Banjo wie der Teufel.

Während da oben Ballade um Ballade verklingt, hängt man unten den eigenen Gedanken und Theorien nach. Kann es sein, dass Alkohol -und Drogenmissbrauch Menschen weniger schneller altern lässt als alleiniger Alkoholmissbrauch? Dass Drogen den Musikerkörper doch irgendwie konservieren? Oder altert man im Rockpop einfach nur stylisher als im Folk?

Aber es sind nicht nur die Hemden und Bundfaltenhosen, die weißen Bärte und Haare, es ist die ganze schlaffe Körperhaltung, die fehlende Spannung, die das Dubliners-Konzert so alterslahm macht. Und selbst die Zuschauer haben sich bequem auf den Sitzen im Zirkusrund niedergelassen. Auch sie scheinen allgemein unter ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) oder seniler Platzflucht zu leiden. Das ist ein ständiges Rein- und Rausschlappen und Getränkeholen, wobei die Biertrinker ihre hochgestapelten Zehnertürme Pfandbecher wie wertvolle Trophäen vor den dicken Bäuchen halten.

Wer jemals eine Irish-Folk-Phase durchlebt hat, wird sich an das Instrument „Tin Whistle“ mit seinem nervigen Klang erinnern, an die „laments“-Balladen mit durchschnittlich 112 Strophen –das alles haben die Dubliners natürlich im Programm. Auf eine andere Säule des Irish Folk, Sean-nos, dem stundenlangen unbegleiteten Singen in Gälisch, verzichtet man gottlob an diesem Abend. Muntere, sich stark beschleunigende Tänze werden unenergetisch vorgetragen, das Publikum wird trotzdem immer lebendiger. Mehrere wild entschlossene langhaarige Frauen entfalten Unterschenkel schlenkernd ihr Bewegungsrepertoire zwischen River Dance, Polonaise seitwärts, Square Dance, Ringelreihen und mittelalterlichem Schreit- und Ausdruckstanz.

Lange noch musizierten die alten Männer im Zirkusbau am Anhalter Bahnhof, lebten sogar noch ein bisschen auf, man selbst aber schlich nach dieser Performance ganz müde und lahm nach Hause.

CHRISTIANE RÖSINGER