Stapelweise

Eine Weile bleiben

Wir tragen die Nacht auf den Schultern, dazu der leichte Nieselregen, die Blätter knirschen uns zwischen den Füßen, auf der Netzhaut: der Herbst. Vor den Stimmen der Nachtschwärmer ergreifen wir die Flucht, manchmal wird einem selbst Berlin zu laut, auch wenn die Stadt nie brüllt, wie die, aus der M. hergekommen ist.

Dann Rote Welle, im Taxi durch die Stadt.

Wir hören Lieder mit geschlossenen Augen, während die Nacht von außen gegen die Fenster prallt. M. wundert sich immer über all die Dinge, die sich in meiner Wohnung stapeln. Die Blätter stapeln sich, die Bücher stapeln sich, die Briefe, zu Türmen. Die Kisten, die Tonbänder, die Flaschen stapeln sich, jetzt auch noch die Gesichter vor den Fenstern, unsere Hände auf der Matratze auch.

Ich denke an M.s Wohnung. Die weißen Wände. Der Stuhl. Der Tisch. Das immer zu kleine Sofa ohne Laken. Alles geborgt. Für alle Fälle. Bei M. gibt es sehr viel Boden. Wenn ich ihn dort betrachte, sieht er aus, als sei es nun so weit, dass er geht.

Ich habe ihm den Streifen aus dem FotoFix mit unseren Gesichtern und vier Reißzwecken in die Hand gedrückt. Er hat alles schnell in die Hosentasche gesteckt – manchmal kann ich in seinen Augen sehen, dass es ihn pikt. Ins Bein. Dann steht er sehr gerade und bewegt sich nicht. Ich mache einen Kopfstand. In meinen Hosentaschen ist nichts, das herausfallen könnte.

Später steht M. an meinem Fenster, als hätte er nie etwas anderes getan. Er schaut nach draußen, beinahe als sei es nun an der Zeit, ein Bild aufzuhängen oder ein Möbelstück zu kaufen, als sei es endlich eine Stadt, in der man bleiben könne.

Vielleicht eine Weile.

ANNE KÖHLER