Beobachten, reagieren, kooperieren

TANZTHEATER Wenn der Druck wächst, schrumpfen die Schritte. Mit „Uncertain States“ widmet sich die Tanzcompagnie Rubata dem Thema Verunsicherung und feiert ihr 30-jähriges Bestehen in den Uferstudios

Da wird etwas sichtbar von der positiven Kraft, mit immer mehr veränderten Parametern umzugehen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Sport war schon oft ein starker Bezugspunkt in der Welt der Körper, die Jutta Hell und Dieter Baumann auf die Bühne bringen, und das ist auch in ihrem jüngsten Stück so. Seit dreißig Jahren bilden die beiden die Tanzcompagnie Rubato, 54 Produktionen haben sie herausgebracht. Im Uferstudio 1 feiern sie jetzt, dass es sie immer noch gibt, mit „Uncertain States“, einer Choreografie für zwei Tänzerinnen und drei Tänzern, unter anderem mit Dieter Baumann selbst. Jutta Hell ist für die Inszenierung verantwortlich.

Dass sie ihre Arbeit fortsetzen können, ist tatsächlich keine Selbstverständlichkeit. Das System der Tanzförderung kennt kein Ziel wie die Unterstützung langjähriger Protagonisten. Rubato haben in drei Jahrzehnten alle Formen von Fördermodellen, die Berlin und internationale Austauschprojekte zu bieten haben, kennengelernt, mitsamt den Höhen und Tiefen. Sie waren lange in der Basisförderung, eine der sichersten finanziellen Grundlagen, die der Senat freien Gruppen zur Verfügung stellen kann. Als sie diese Mittel 2014 verloren, war das ein existenzieller Einschnitt und ihre Empörung laut. Dass sie für „Uncertain States“ dann Einzelprojektförderung erhalten konnten, nehmen sie aber als Zeichen der Wertschätzung.

„Uncertain States“ gilt dem Thema der Verunsicherung. Eine Folie dafür war sicher die eigene Situation. Und weiter gedacht haben sie sich in den Proben auch mit dem Zerfall von sozialen und ökonomischen Sicherheiten in vielen Ländern beschäftigt. Dennoch scheint die Performance, mit der sie jetzt in dunklen Hosen und Kapuzenjacken über einen weißen Tanzteppich gleiten, viel weniger von Verlusten und dem Wegbrechen von verlässlichen Strukturen zu erzählen als vielmehr von der Suche nach einem Regelwerk, um aus der Vereinzelung wieder zu Beziehungen zu finden.

Eine Aufgabe folgt der nächsten

An eine Turnhalle erinnert das Setting, Reifen und Rollen als Requisiten verstärken den Eindruck. Alle fünf sind die ganze Zeit über in dem Raum und wie auf eine unhörbare Ansage hin mit unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt. Mit welcher Stimmung, mit welcher Spannung sie dahingehen, verändert sich: Manche Sequenzen sind verhalten, vorsichtig Möglichkeiten erkundend, sich zu dem eigenen Körper und dem Raum ins Verhältnis zu setzen. Es gibt Szenen des Taumelns, der Orientierungslosigkeit und kurze Einblendungen von aggressiven Ausbrüchen. In andere Abschnitte gehen die fünf Akteure mit Tempo, Druck und Stress hinein. Je stärker das Bild des Getriebenseins sich entfaltet, umso verkrampfter wird die einzelne Bewegung, die Schritte verhärtet und kurz, die Richtungen stur.

Die besten Momente entstehen, wenn die verabredete Übung sie nötigt, aus dem Zustand des Einzelkämpfers aufzubrechen und sich aufmerksam aufeinander zu beziehen. Man spürt dann, dass dies jetzt und real geschieht, die Tänzer keinen vorgezeichneten Wegen folgen, sondern ihre Bewegungen, etwa im Zurollen und Auffangen der Reifen, aus der Reaktion entwickeln. Dann wird etwas sichtbar von der positiven Kraft, mit immer mehr Veränderungen und veränderten Parametern umzugehen.

Allein solchen gruppendynamischen Übungen mit Spannung zu folgen gelingt nur über eine begrenzte Zeit. Die akustische Kulisse, ein sprödes Soundscape von Da Bao, das in urbane und globale Klangräume eintauchen lässt, spannt größere Bögen als die vielen, sich aneinanderreihenden Aktionen der Tänzer.

Die symbolische Deutung der Bilder an diesem Abend ist oft naheliegend, die Beschreibung des Erlebens von physischen und mentalen Hindernissen, die Suche nach Überwindung und Weiterentwicklung deutlich. Man sieht, was geschieht, aber auch nicht mehr. Liest man dann noch einmal im Programmheft über den Ausgangspunkt des Stücks – „Wir leben in einer Welt, in der sich unumstößliche ideologische, ökonomische und politische Fundamente, auf denen Gesellschaft und Kultur basieren, allmählich im Zustand der Auflösung befinden“ –, dann wirkt der Abstand zwischen der theoretischen Basis des Konzepts und der ausgeführten Praxis doch recht groß. Der Handel mit den ganz großen Begriffen tut der Rezeption des Stücks nicht unbedingt gut.

■ Wieder am 21. März, 20 Uhr und 22. März, 17 Uhr im Uferstudio 1