Offen, universell, gut

VIDEOKUNST Die Bremer Video-Künstlerin Lu Nguyen knüpft an zentrale Strategien der feministischen Abvantgarde-Kunst an

Manche Bilder sind einfach zu stark, um es in ihrem ganz eigenen Kontext auszuhalten

VON RADEK KROLCZYK

In der Mitte des Raumes liegt auf dem Boden eine zerbrochene ionische Säule. Man könnte an Reste eines zerstörten, altertümlichen Tempels denken. Oder an eine Requisite im Theater. Denn die vermeintlich umgekippte Säule ist aus Gips gemacht.

Es handelt sich um eine Arbeit der jungen Künstlerin Lu Nguyen. „Zwischen Gestern und Übermorgen“ ist der Titel ihrer ersten Einzelschau, die noch bis Ende April in der Galerie Mitte zu sehen ist. Die Künstlerin ist 1978 im vietnamesischen Binh Thuan geboren. Vor zwei Jahren hat sie ihr Kunststudium in Bremen abgeschlossen. Studiert hatte sie bei dem Videokünstler Jean-Francoise Guiton. Wohl deshalb sind in der Galerie fast ausschließlich Videoinstallationen zu sehen, zwischen denen solitär dieses gipserne Artefakt liegt.

Eine solche zertrümmerte Skulptur befördert uns für einen Augenblick hinaus aus dem geschützten Kunstraum und direkt ins politische Geschehen. Ist es doch noch gar nicht lang her, als in den Nachrichten Bilder marodierender Islamisten zu sehen waren.

In jahrtausendealten syrischen Tempeln prügelten bärtige Männer mit schweren Hämmern auf steinerne Skulpturen ein und stießen sie aus ihren Wandnischen. Die zersplitterte Säule am Boden evoziert diese Bilder noch einmal. Auch wenn sie von der Künstlerin wohl kaum intendiert sind – im Kunstwerk sind sie durchaus enthalten. So offen ist diese Arbeit, so universell, so gut.

Gleich daneben läuft auf einem Flatscreen eines der für Nguyen typischen Videos. Man denkt zunächst, es handele sich um eine Fotografie. Zu sehen sind zwei Köpfe, in Tücher gewickelt. Ganz dicht und fest, als seien sie vom Erstickungstod bedroht. Dabei ist auch hier nichts direkt Politisches gemeint. Doch wen interessiert schon, wie so eine Arbeit gemeint ist? Bilder von Folter, von Waterboarding etwa, sind in dem Bild enthalten. Auch wenn es sich um die Bearbeitung eines Gemäldes des belgischen Malers René Magritte handelt, wie die Künstlerin erzählt. Manche Bilder sind einfach zu stark, um es in ihrem ganz eigenen Kontext auszuhalten.

Wenn man das Bild, das da auf dem Bildschirm leuchtet, genau betrachtet, erfährt man, dass es sich nicht um ein Bild handelt. Ganz langsam und nahezu schmerzhaft sieht man die Lappen sich etwas lösen vom Gesicht und wieder anschmiegen. Wenn man ganz leise ist, kann man ihren mühevollen Prozess der Lebenserhaltung sogar hören. Es muss also tatsächlich jemand unter diesen Tüchern atmen. Eine seltene Erfahrung ist es, dass Kunstwerke sich unter dem Blick ihrer Betrachter so stark wandeln. Lu Nguyen gelingt dieses Kunststück.

Tatsächlich ist es sie selbst, die sich hier schwer atmend inszeniert und sich so in die Position der Leidenden begibt. Wahrscheinlich ist nichts leidvoller – oder auch leidenschaftlicher – als das Atmen. Auch in anderen Videoarbeiten inszeniert sie sich als atmendes Standbild. In ihrer Bearbeitung von Otto Dix’ „Sylvia von Harden“ etwa. Man sieht die Künstlerin in dem berühmten rot-schwarz karierten Kleid und dem Monokel am linken Auge am Kaffeetisch sitzen. Allmählich nur strömt der Zigarettenrauch aus ihrem Mund.

Die Aneignung männlich bestimmter Kunstgeschichte war eine der zentralen Strategien der feministischen Kunstavantgarden der 70er-Jahre. An diese knüpft Nguyen umstandslos an. In den minimalen wie fundamentalen Handlungen ihrer Videos ergreift sie die Macht über den eigenen Körper. Und gewissermaßen auch über ihre Betrachter. Indem sie ihnen nicht vorsetzt, was von ihr erwartet werden könnte. Damit sie überhaupt etwas von dem, was da geschieht, mitbekommen, müssen sie sich schon darauf einlassen. Und schon sind, ehe sie sich versehen, mittendrin in einem existenziellen Vorgang.

■ Bis 26. April, Galerie Mitte im Kubo

■ Der Autor ist Mitbetreiber der Galerie K-Strich