KINDER SOLLTEN IHREN HORIZONT ERWEITERN
: Die Schülerumtauschmesse

VON HELMUT HÖGE

Eine gute Idee“, meinte die Mutter eines 14-Jährigen, als sie von der Messe der International School in Dahlem erfuhr: „Aber noch besser wäre eine Schülerumtauschmesse.“ „Das kann doch mit etwas Glück daraus werden“, entgegnete eine andere Mutter, die ihre zwei Jungs bereits ins Ausland geschickt hatte: „Jedes Mal hoffte ich, es würde ein anderer zurückkommen – leider bisher vergeblich.“

„Ach, ihr Rabenmütter“, schaltete sich ein Vater ein: „Darum geht es doch gar nicht. Das Schülerauslandsjahr ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Dienstleistungssektor.“ Die ursprüngliche Idee sei gewesen, so der Vater, dass man den Kindern Internationalität beibringen müsste, sie ihren Horizont erweitern und die Welt kennenlernen ließe. Und schon hätten arbeitslose amerikanische Sozialpädagogen und Bildungsexperten zugegriffen. Sie gründeten Vermittlungsagenturen, weiß der Vater, von da aus hätte sich dieses Geschäft krebsartig über den Globus ausgebreitet. „Für ein Jahr USA müssen die Eltern 10.000 Euro zahlen, Kanada ist noch teurer, weil die Gasteltern extra was kriegen. Und dann brauchen die da auch noch Taschengeld, Klamottengeld, Geburtstagsgeschenkegeld usw.“

Maulend nach Tschechien

Der Vater kennt eine Betroffene: „Meine arme Nachbarin konnte ihre Tochter nur nach Tschechien schicken, die hat gemault, aber hinterher war sie heilfroh, denn dort konnte sie reiten, Ski fahren, alles Mögliche – ohne dafür extra zu bezahlen.“ „Aber auch wenn es teuer ist und die Agenturen davon profitieren“, wendet eine Mutter ein, „immerhin lernen die Kinder doch im Ausland die Sprache – und Toleranz, das dient der Völkerverständigung.“

Ich weiß nicht, wie das Gespräch weiterging, ich musste umsteigen, aber ich erinnerte mich, was Wladimir Kaminer mir einmal über seine Tochter erzählt hatte. Ihre Mutter hatte ihr keinen Lateinamerika-Austausch erlaubt („Erst wenn du 18 bist – dann kannst du reisen, wohin du willst!“), und ihre Französischlehrerin hatte ihr wegen schlechter Zensuren einen Lyon-Aufenthalt vermasselt. Als ihre Freundinnen zurückkamen, meinten sie jedoch, sie hätte nichts verpasst: „Die Franzosen sähen selbst mit fünfzehn aus wie Zwölfjährige in Berlin. Außerdem hätten die Franzosen keine Ahnung von guter Musik, sie hören Shakira und Britney Spears und können überhaupt keinen Alkohol vertragen. Eine Party für 20 Gäste wird in Lyon mit fünf Dosen Bier gefeiert, nach einer Stunde liegen alle Franzosen besoffen unterm Tisch. Kein Wunder, dass sie dermaßen unterentwickelt sind, meinten die Mädchen übereinstimmend. Denn die Jugend in Lyon hätte, anders als in Berlin, zu wenig Möglichkeiten, ihre Trinkfestigkeit zu trainieren. Die Jugendlichen dort hätten kaum Chancen, an Zigaretten und Alkohol zu kommen. Bei uns in Berlin sei der deutsche Schüler in jedem Spätverkaufsladen als wichtiger Bierkonsument hochgeschätzt. In Lyon gäbe es nicht einmal einen Späti.“

Das Gegenteil hatte ich von einem 16-jährigen Schüler erfahren, den seine Eltern für ein Jahr nach New York geschickt hatten: Seine Gasteltern ließen ihn nicht ohne Begleitung aus dem Haus. Er saß die ganze Zeit auf seinem Zimmer und kiffte.