Die Freude auf den nächsten Urlaub

100 TAGE MÜLLER

Das Langweiler-Image ist keineswegs nur Attitüde, sondern tatsächlich sein Programm

Genau 100 Tage war Michael Müller am Freitag nun schon Regierender Bürgermeister. Und hat den BerlinerInnen gegeben, was sie nach Partykönig Klaus Wowereits Extravaganzen wollten: den ordentlichen netten Kerl, unprätentiös, unglamourös, uneitel, ein bisschen langweilig, aber fleißig und zuverlässig. Ein Spießer eben.

Dass dieses beruhigende Langweiler-Image keineswegs nur Attitüde ist, sondern tatsächlich sein Programm, hat der Regierende am vergangenen Sonnabend mit einem bemerkenswerten Satz bewiesen. Beim Kleinen Parteitag der Berliner SPD sagte Müller, es seien die „Menschen, die so langweilig leben wie viele von uns Sozialdemokraten“, Menschen, für die „die Freude auf den nächsten Urlaub und das neue Auto“ im Mittelpunkt stünden, die Berlin trügen. Für sie wolle er Politik machen.

Gut, als Abkehr von Wowereits „Arm, aber sexy“ mag der Satz einleuchten. Es sind wohl wirklich nicht allein die Bart-und-Brille-Hipster – den Kopf voll geiler Ideen, die Knie tief im Dispo –, die diese Stadt „tragen“. Doch: Menschen, für die Urlaub und Auto im Mittelpunkt stehen (bei Letzterem dürften hoffentlich wenigstens die Umwelt- und Verkehrspolitiker der SPD kurz blass geworden sein)?

Vielleicht sind sie in manchen Gebieten Süd- und Nordwestberlins noch eine relevante Größe. Im innerstädtischen Bereich scheint sich jedoch unaufhaltsam die Kluft zu vergrößern zwischen jenen, die 4.000 bis 7.000 Euro pro Quadratmeter für Eigentumswohnungen hinlegen können, und jenen, die froh sind, neben der Miete statt Urlaub wenigstens noch die Klassenfahrt für die Kinder und die BVG-Tickets bezahlen zu können. Arm, aber überhaupt nicht sexy: Pech gehabt! Zu ihnen fällt offenbar auch dem neuen Bürgermeister nicht viel ein. ALKE WIERTH