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Archiv-Artikel

Das Ende ist der Anfang

WELTENDE In einem Jahr endet der Kalender der Maya. Ist dann das Ende aller Tage? Vielleicht fragt man da am besten die Maya von heute

Volk, Kalender und Film

■ Volk: Die Maya besiedelten als Hochkultur jahrtausendelang weite Teile Mittelamerikas. Sie bauten Steinpyramiden, waren mathematisch und astrologisch sehr bewandert und entwickelten eine eigene Schrift – eine Besonderheit im präkolumbianischen Amerika. Heute leben in Mexiko und Guatemala zwischen sechs und neun Millionen Menschen, die einem der indigenen Maya-Völker angehören.

■ Kalender: Die Maya kennen drei Kalender. Einen für Saat- und Erntezyklen, einen für rituelle Zwecke und göttliche Feste und einen, der „Lange Zählung“ heißt, für astrologische Berechnungen und Geschichtsaufzeichnung.

■ Film: Der Dokumentarfilm „Herz des Himmels, Herz der Erde“ der Filmemacher Frauke Sandig und Eric Black läuft seit vergangener Woche in deutschen Kinos. Weitere Informationen im Internet unter: www.herzdeshimmels-herzdererde.de

VON SEBASTIAN ERB

Chepita, die zum Volk der Tzotzil-Maya in Mexiko gehört, sitzt in einem Berliner Lokal und malt mit ihrem Finger einen Kreis auf den Tisch. Der Kreis symbolisiere die Zeit und die Geschichte der Welt, sagt sie mit weicher Stimme. Dann unterteilt sie ihn, so wie es im Maya-Kalender auch ist, in vier Viertel. Jeder Viertelkreis stehe für eine Sonne und damit für eins der vier Zeitalter, die ihre Vorfahren kannten. Nachdem eine Sonne unterging, ging die nächste auf bis hin zum vierten Zeitalter, an dessen Ende wir nun leben. Was aber geschieht, wenn die vierte Sonne untergeht?

In einem guten Jahr ist es so weit, die vierte Sonne verschwindet hinterm Horizont. Die „lange Zählung“ des fünftausend Jahre alten Maya-Kalenders endet am 21. oder 23. Dezember 2012 – je nach Berechnung. Das ist der Tag, an dem die Welt untergeht – davon zumindest sind all jene überzeugt, die an die apokalyptische Kraft dieser Prophezeiung glauben.

Josefa „Chepita“ Hernández Pérez, eine zierliche Frau in einem grünen Rüschenkleid, hat andere Erklärungen für die Weltsicht und Weltrechnung der Maya. Davon will sie berichten. Und sie will erzählen, wie sie selbst wieder Zugang fand zur Kultur ihrer Ahnen.

Ihre Suche nach Glück und nach dem Sinn des Lebens begann mit Träumen. Richtigen Träumen, nicht denen von Geld und einem besseren Auskommen, das so viele Menschen aus ihrer mexikanischen Heimat in Chiapas in den Norden und über die Grenze in die USA zieht. Sie träumte von den alten Mythen, die das Göttliche in allen Kreaturen erkennen und die nicht zu den christlichen Dogmen passen, die sie gelehrt wurde. Vor sechs Jahren brach sie deshalb endgültig mit der katholischen Kirche. „Seitdem war ich nicht mehr krank.“ Es klingt kämpferisch, obwohl sie mit sanfter Stimme spricht – in einem weichen, verspielten Spanisch.

Gott ist überall, davon ist Chepita überzeugt, auch ihre Vorfahren sind überall um sie herum. In allen Lebewesen stecken sie, die Großväter oder Urgroßmütter, die ihr Wissen weitergeben wollen. Mit ihnen unterhält sich Chepita. Worüber sie mit ihnen spricht, will sie nicht verraten. „Ich will meine Ahnen dadurch nicht entblößen“, sagt sie.

Nur so viel: Im Traum bekomme sie Antworten auf die Fragen, die sie hat: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Wohin soll sie gehen? Chepita ist jetzt eine Frau der Natur. „Ich fühle mich mit dem Feuer verbunden, ich mache Zeremonien mit der Erde, dem Wasser und dem Mais.“ Allein deshalb könne sie gar nicht länger in Deutschland leben, denn was hier als Maiskolben angeboten werde, nun ja, das heiße nur so. Es ist nicht das Grundnahrungsmittel, das sie kennt, das in vier Farben schimmert, weiß, gelb, rot, schwarz. Es ist nicht der Mais, der ihr Körper ist, ihr Blut, der für die vier Himmelsrichtungen steht und für die Farben der Menschheit.

Chepita ist eine angenehme Gesprächspartnerin, freundlich, höflich, sie lacht viel. Aber antworten will sie, kann sie nicht immer. Manche Fragen machen für sie keinen Sinn. Diese Deutschen, die wollten alles wissen, meint sie. „Sie wollen alles mit dem Kopf verstehen. Das war ein Schock für mich.“ Manche Dinge könne sie eben nicht erklären, schon gar nicht auf Spanisch, einer Sprache, die sie erst als Jugendliche lernte. Und manche Dinge, die erkenne man auch nur mit dem sechsten Sinn: dem Gefühl, der Intuition, den Träumen, denen man folgt. Chepita schaut in die Luft, es ist eine andere Welt, aus der sie kommt. Nein, die Welt sei dieselbe, meint sie, aber die Sicht darauf, die sei anders. Wie anders?

Ob in Mittelamerika oder weiter südlich, ob in Kolumbien oder Bolivien: Die Weltsicht der indigenen Völker in den Amerikas ähnelt sich, sie kreist um die „Mutter Erde“. Ihre Kosmovision ist allumfassend. Nichts geschieht für sich allein, sondern alles ist mit allem verbunden. Wenn ein heiliger Kapokbaum umfällt, fällt ein Stern vom Himmel.

Die Filmemacher Eric Black und Frauke Sandig versuchen diese Weltsicht einzufangen. In ihrem Dokumentarfilm „Herz des Himmels, Herz der Erde“ kommen Chepita und andere junge Maya von heute zu Wort. Länger als ein Jahr waren die Filmemacher dafür in Guatemala und Mexiko. Sie haben sich Zeit genommen, haben Vertrauen aufgebaut, kamen den Menschen nahe, durften dabei sein im Alltag und bei heiligen Zeremonien. Sie brachten Neugier mit und Verständnis. Sie wollen nicht belehren. Im Gegenteil, sie lassen Aussagen stehen und Fragen offen. Mit starken Naturbildern unterlegen sie Worte des Schöpfungsmythos, wie sie im „Popol Vuh“ überliefert sind, dem heiligen Buch der Maya. Riesenschildkröten kommen aus dem Meer, um ihre Eier in den Sand zu verbuddeln. Der Mond spielt mit den Wolken, der Schatten mit dem Licht.

Die Weltsicht der Maya mag mit dem westlichen Auge betrachtet etwas naiv erscheinen, aber sie schafft Bilder von bedrückender Wahrheit: „Das Wasser“, sagt einer, „wird müde von der Verschmutzung.“ Und die Welt der Maya ist real bedroht – völlig unabhängig von der Zeitrechnung: Regenwälder werden abgeholzt, transnationale Konzerne versetzen ganze Berge, um ein bisschen Gold aus dem Boden zu klauben. Berge, die den Maya heilig sind. US-Firmen überschwemmen Mexiko mit billigem Genmais, und Rassismus ist immer noch Alltag. Lange ist es noch nicht her, dass während des Bürgerkriegs in Guatemala Maya systematisch unterdrückt und abgemetzelt wurden. Nicht alle Maya können noch etwas mit der Geschichte ihres Volkes anfangen, manche interessieren sich mehr für die vielen Fernsehkanäle aus den USA. Im Kern drehen sich fast alle Probleme um eines: Globalisierung. Und die ist „wie ein großes Tier mit vielen Pfoten, das die Menschen auffrisst“, sagt Chepita.

„Das Wasser wird müde von der Verschmutzung“, sagt ein Maya im Film

„Ich war überrascht, wie viel das Wort ‚Globalisierung‘ den einfachen Leuten sagt, wie sehr sie sich mit Freihandel und solchen Dingen beschäftigen“, sagt Regisseur Eric Black. Er und seine Koregisseurin benutzen das Weltuntergangsfantasma, um den heutigen Maya eine Stimme zu geben. Sie sollen erklären, wie sie die Welt sehen und die Probleme, die sie zu erdrücken drohen.

Ihre Analyse erscheint gar nicht abwegig. Es herrsche heute, sagen sie, wieder eine Krise vor, so ähnlich wie damals, als das Reich der alten Maya unterging. Alle wollen nur noch Reichtümer anhäufen, die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige, das System erreicht seine Grenzen. Die Folge – so sagt es ein Maya im Film: „Die Zeit der Maismenschen geht zu Ende.“

Aber was passiert denn nun am 21. Dezember 2012, an dem Tag, an dem der Kalender aufhört? Es komme nicht der Weltuntergang, sagt Chepita. Es schließe sich vielmehr der Kreis, und es öffne sich ein neuer, eine fünfte Sonne wird aufgehen. Die Phase des Übergangs hat schon längst begonnen, mit all den Erdbeben und Überschwemmungen. Die Erde reinigt sich, alles bewegt sich, nichts steht still. „Die Erde bittet, dass wir ihr zuhören, sie bittet um Hilfe!“

Und mit welchem Gefühl blickt sie auf diesen Tag? „Ich freue mich“, sagt sie und schaut in die Ferne. Es komme eine große Veränderung. „Wir haben die Chance, dass es besser wird.“