Die getrollte Öffentlichkeit

Ein Wort, das man zu häufig hintereinander gesagt hat, quillt im Mund. Bescheuert im Klang, hohl in der Bedeutung – man ekelt sich, es überhaupt noch auszusprechen. Fake. Fake. Mittelfinger. Mittelfinger. Mittelfinger.

Hat denn nun das Team von Talkshow-Quatschkopf Jan Böhmermann tatsächlich ein Video bearbeitet und bei YouTube gepostet, in dem es aussieht, als zeige Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis Deutschland die internationale Fuck-you!-Geste? Böhmermann behauptete das, in sozialen Netzwerken drehten alle durch – und am Mittwoch sah sich das ZDF bemüßigt, die Aktion als Satire zu bezeichnen.

Dabei ist es am Ende völlig Wurst, ob Böhmermann das Video manipuliert hat oder nicht: Getrollt hat er uns alle. Mediale Erregungszyklen, Manipulierbarkeit von Internetquellen, die Reproduktion der Erzählung von den gierigen und arroganten Griechen – ganz schön peinlich, dass ein TV-Klassenclown kommen muss, um all der medial interessierten Öffentlichkeit in ihrer ganzen schmerzhaften Peinlichkeit vor Augen zu führen, wie dämlich es ist, sich eine Woche lang mit dem Mittelfinger eines griechischen Ministers zu beschäftigen. Und demonstriert außerdem, wie man mit billigen Tricks jegliche inhaltliche Debatte verstummen lassen kann, wenn man nur genug Penisse, irgendwas mit Hitler oder eben einen Mittelfinger ins Bild hält.

Was auch gut funktioniert: einfach verschwinden. So wie Wladimir Putin. Anfang der Woche bliesen westliche Medien fast minütlich Updates zu seinem Verbleib raus – da blieb kein Platz für Kritik an seiner Politik. Als er am Montag wieder eine Audienz gab, war allein das schon eine Meldung wert. Merke: Von Kim Jong Un lernen heißt den Mediendiskurs beherrschen. Hätte jetzt noch Kanzlerinnengatte Joachim Sauer bei „Let’s Dance“ mitgemacht, die Flutkatastrophe im Südpazifik oder die Anschläge von Tunis wären vor lauter Nebelkerzen kaum noch sichtbar gewesen.

Hoffnungslos zugenebelt auch die Lage bei #blockupy. Nicht wegen dem bisschen Rauchschwade auf den Skyline-Fotos, sondern auf Twitter. Denn kaum war pünktlich zum Morgenkaffee das erste Fahrzeug abgebrannt, hatten Linke wie Konservative ihre Positionen in 140-Zeichen-Formeln fertig ausgetauscht. Maidan. Arabischer Frühling. Chaoten. Äpfel. Birnen. Alle Reflexe binnen Minuten da. Aber eben noch nicht von jedem wiederholt – weshalb die Debatte bis zum Abend im Kreis tanzte. Was einmal mehr belegt: Ein 140-Zeichen-Medium ist fürs inhaltliche Argumentieren ungefähr so gut geeignet wie ein Megafon. Schnelle Infos, Verweise, vor allem aber gute Gags werden hingegen belohnt wie Pawlows Hunde.

Aber klar: Die Welt ist grauenvoll komplex geworden. Wir können so tun, als hätten wir den inhaltlichen Durchblick, bei all den komplizierten Themen von Finanzkrise über Energiefragen bis zu selbst lernenden Algorithmen. Wahr ist das meistens nicht. Die Welt zu verstehen, das war schon immer anstrengend. Doch je arbeitsteiliger unsere Gesellschaft wird, je kleinteiliger Forschung, je multipolarer Geopolitik, je größer und schneller die Masse an Neuigkeitshappen, desto unmöglicher durchzusteigen. Darum also der Rückzug ins Dümmliche? Zerstreuung. Unterhaltung. Irgendwas, wo jeder mitreden kann, ohne das Hirn anschmeißen zu müssen?

Ihr Publikum, so nehmen diverse Medien offenkundig an, ist müde. So müde wie viele Redakteure, die immer schneller immer mehr leisten müssen. Und auch deshalb oft auf die „Quelle: Internet“ zurückgreifen. Hier, in den Echokammern dieses riesigen Sprech-, Seh- und Meinungsspeichers findet man Bestätigung für alle erdenklichen Theorien und Ansichten. Pegida-Jünger fanden hier, was ihren Hass auf die etablierte Presse bestätigte – ohne diese neuen Quellen zu hinterfragen. Und der „Jauch“-Fall zeigt, egal ob mit Fake oder ohne, wie schädigend es werden kann, ein provokantes Netzfundstück ohne Zusammenhang zu versenden. Und ohne sorgfältige Verifikation.

Je schlampiger klassische Medien sich an Content aus dem Netz bedienen, desto angreifbarer werden sie. Auch das ein Verdienst von Böhmermanns Medienhack: Redaktionen aus ihrem oft selbstgefälligen Besserwissertum herauszuverunsichern. Denn: Dekonstruktion etablierter Erzählungen und Selbstzweifel sind Eigenschaften, die viele Kollegen hierzulande längst abgelegt haben.

„If all the content is wiped out, there is perhaps a subversive, revolutionary use value of the medium as such #Baudrillard“ twittert am Donnerstag eine geschätzte Kollegin. Was mich gleich wieder Lügen straft: Selbst über Twitter lässt sich inhaltliche Diskussion anzetteln. Wenn man smart genug ist. Und es will.

Meike Laaff