Intendant in der Schusslinie

Heftige Kritik an seinem „Führungsverhalten“ musste sich gestern der Intendant von Radio Bremen, Heinz Glässgen, anhören. Während er stolz auf sein „modernstes Funkhaus Europas“ ist, fürchten die Mitarbeiter sich vor der nächsten digitalen Panne

Dass Bremens Regierungschef Henning Scherf 1999 einem Ministerpräsidentenbeschluss zugestimmt hat, nach dem die Gelder für Radio Bremen um ein Drittel gekürzt wurden, das verzeihen ihm Bremens Radiomacher nie. Als „Sargnagel“ bezeichnet der damalige stellvertretende Regierungssprecher Stefan Luft (CDU) heute den Vorgang. Radio Bremen hat sein Personal von 700 auf 400 Stellen abgebaut, den Etat um ein Drittel gekürzt und mit einem ARD-Investitionskredit von 64 Millionen Euro einen modernen Neubau errichtet. Statt bisher 33.161 stehen dem Sender nun 17.000 Quadratmeter zur Verfügung. Damit ist die Gegenwart gesichert, sagt Intendant Glässgen – nicht die Zukunft. Wenn der Beschluss von 1999 nicht korrigiert wird, wenn die ARD nicht ab 2009 einen höheren „bedarfsgerechten Finanzausgleich“ gewähre, könne Radio Bremen keine Kostensteigerungen mehr finanzieren und gerate in eine Existenzkrise.  KAWE

Aus Bremen KLAUS WOLSCHNER

Anderthalb Stunden stritt der Rundfunkrat von Radio Bremen gestern darüber, ob es zu einem öffentlich-rechtlichen Sender passt, dass am Tag vor dem feierlichen Festakt zur Einweihung des neuen Funkhauses ein ökumenischer Gottesdienst im „Event-Studio“ des Senders stattfinden sollte. Weitere drei Stunden hatte am Montag bereits der Finanz- und Organisationsausschuss des Senders darüber gestritten. Was deutlich macht: Der Haussegen hängt mächtig schief.

Er habe den Verdacht, dass es bei dem Streit „um etwas anderes geht“, sagte Rundfunkratsmitglied Hartmut Perschau (CDU), wollte aber auch auf Nachfrage nicht sagen, worum es gehen könnte. Katrin Rabus, Galeristin und offenbar weniger zur Rücksichtnahme verpflichtet, sprach das „Unbehagen“ an Glässgens „Führungsverhalten offen an und forderte ihn auf: „Sie müssen Ihre Mitarbeiter mitnehmen bei dem Reformprozess, und den Rundfunkrat auch.“

Im Vorfeld der Sitzung war gemutmaßt worden, der Intendant könnte zum Rücktritt gedrängt werden. Glässgen selbst bekannte, er sei gebeten worden, er solle versuchen, auf die Kritik eine „moderate Antwort“ zu finden. Was sein zerstörtes Verhältnis zum Personal und zum Personalrat angeht, so ist sogar ein „Moderationsverfahren“ mit Supervision im Gespräch.

„Heinz die Eins“ wird der Intendant im hausinternen Jargon spöttisch genannt. Mehr als 20 MitarbeiterInnen soll er durch seinen selbstherrlichen Führungsstil in der Intendanz „verschlissen“ haben, und die Briefe, die er mal Personalvertretern, mal Rundfunkrats-Mitgliedern schreibt, werden schmunzelnd weitergereicht.

Glässgen hat seine Medienkarriere als TV-Beauftragter der Katholischen Kirche begonnen. Da passte es wie die Faust aufs Auge, als Mitte Oktober durchsickerte, dass es zu Einweihung des neuen Funkhauses einen Gottesdienst im Funkhaus geben sollte. „Radio Bremen ist kein christlicher Sender“, schrieb prompt der grüne Rundfunkrat Hermann Kuhn in einem offenen Brief. Der Sender redete sich damit heraus, es handele sich um einen normalen Rundfunkgottesdienst und eine „Vermietung an Dritte“ – aber da wollten die Kirchen ihren Gottesdienst schon längst wieder in einer Kirche feiern.

Teilgenommen hätten daran gerade mal vier Mitglieder des Rundfunkrats, berichtete gestern einer dieser vier, Klaus Bernbacher. Aus der Führungsetage von Radio Bremen habe er „drei bis vier“ gesehen, die sich irgendwo in den hinteren Reihen einen unauffälligen Platz gesucht hätten. Kein Anlass also, um die Unabhängigkeit des Senders zu fürchten.

Was sich da im Streit um den Gottesdienstes entladen hat, hat tiefer gehenden Wurzeln. Vor dem Festakt zum Bezug des neuen Funkhauses hatte der Intendant den Mitgliedern des Personalrates und den „Vertretern der Hausgewerkschaften“ einen Brief geschrieben mit der Bemerkung, es sei nach Ansicht einiger „nicht nachvollziehbar, diejenigen einzuladen, die die tief greifenden Reformen … ablehnen“.

Die Presse war zu dem Festakt nicht eingeladen – den Vertretern des Personals bot der Intendant gnädigerweise dann doch einen Sitz an. Der DJV-Vorstand hatte den Intendanten aufgefordert, die seit Frühjahr 2007 fälligen Tarifgespräche zu führen, um zu zeigen, dass ihm „neben schicken Glasfassaden“ auch die MitarbeiterInnen wichtig seien.

Bremen hat das „modernste Funkhaus Europas“, so lobte Glässgen anlässlich der letzten ARD-Intendanten-Tagung in Bremen, denen er das neue Glashaus stolz vorführte. Alles digital und vernetzt, „trimedial“ soll ein und dieselbe Fachredaktion für Internet, Hörfunk und Fernsehen arbeiten.

Spricht man mit Mitgliedern der Redaktion, dann hört man unglaubliche Geschichten von technischen Pannen. Da bleibt das Bild während der Sendung stehen, über Stunden lassen sich keine Magazin-Beiträge ins Rundfunkprogramm einspielen, Nachrichten fallen aus, hinter den Kulissen herrscht oft die reine Panik. Die schöne neue digitale Welt funktioniert nicht, mehr als ein Dutzend Computer-Spezialisten spielen seit Wochen Feuerwehr und können selbst nicht sagen, woran es liegt. Das sehe nicht nach Anfangsschwierigkeiten aus, sondern danach, dass das ganze System mit heißer Nadel gestrickt ist, sagt ein Redakteur.

Und trimedial? „Ich kenne keinen, der hier trimedial arbeitet.“ Das sei auch ein falsches Ziel, da Fernsehen vom Bild her gedacht werden müsse. Hörfunk und Internet, das gehe zusammen – aber die Schnittstellen funktionierten noch nicht. „Bitte nicht meinen Namen nennen“ – das ist ein Standard-Satz nach einem Gespräch hier. Die MitarbeiterInnen des Senders, der einst stolz war auf seine Diskussionskultur, hätten „Angst, Kritik zu üben“, moniert der Personalrat. Womit wir wieder beim Führungsstil des Intendanten sind.