Ein Blick in die Zukunft

Es kommt ganz gewiss, aber was machen wir dann bloß? Das Theater zum westlichen Stadthirschen, selbst seit 25 Jahren aktiv, stellt sich dem Thema Altern in dem Stück „Weil morgen gestern war“ und verirrt sich dabei ziemlich

Die Friedrichshainer Theaterkapelle ist ein obskurer Spielort, denn in der Friedhofskapelle, die die Bühne beherbergt, werden noch immer Begräbnisfeiern veranstaltet. Allerdings strahlt der kleine Bau etwas Feierliches aus, und seine Größe ist passend. Das Publikum, das von einem Podest auf die Spielfläche hinunterschaut, wird nicht so leicht vergessen, wo es ist.

Das liegt allerdings auch an dem Stück „Weil morgen gestern war“, das das Ensemble des Theaters zum westlichen Stadthirschen dort aus Anlass seines 25. Geburtstages zur Uraufführung bringt. Es soll ein Stück über das Alter und das Altern sein, montiert aus literarischen Texten und Interviews mit älteren Mitbürgern. Die beiden Regisseure Anke Mo Schäfer und Dominik Bender zwingen die Schauspieler, den ganzen Raum auszufüllen, das Kapellenfenster wird ebenso genutzt wie eine Tür zum Friedhof. Mit dabei ist die 80-jährige Hannelore Wüst, die für das Stück zum ersten Mal auf einer Bühne steht und zwar manchmal den Text ablesen muss, aber im Ganzen beeindruckend spielt. Ihr fällt es zu, hochliterarische Texte von Friederike Mayröcker zu sprechen, aus dem Buch „Und ich schüttele mir einen Liebling“, in dem sich Mayröcker an ihren verstorbenen Lebensgefährten Ernst Jandl erinnert. Ansonsten ist sie eine Stichwortgeberin für das Paar, das Dominik Bender und Maria Gräfe spielen.

Doch schon der erste Bender-Gräfe-Dialog zeigt das Problem des Textes. Er fragt: „Wie alt sind sie eigentlich?“ Sie ruft aus: „Hä?“, und von da ab wird sich durch den Text hindurch gegripstheatert. Der 50-jährige Bender spielt zumeist den jugendlichen, nicht selten neurotischen Zappelphilipp, die 58-jährige Gräfe gibt die Junggebliebene, die sich mit ihrem Alter abgefunden hat, die Fragen stellt, dauerlächelt, Dummheiten vergibt, nett ist und selbst hässliche Bekenntnisse freundlich darreicht. Das Regieduo Schäfer/Bender vermochte sich offensichtlich nicht recht zu entschließen, lässt die Spieler mal nebeneinander, mal miteinander reden, in einer – schönen – Passage sogar gleichzeitig. Vermittels kabaretthafter Einlagen und Soundeffekte hat das Stück sogar eine ziemlich Dynamik und ist streckenweise sehr unterhaltsam, doch: man weiß nicht, was das Ganze soll am Ende.

Das Theater zum westlichen Stadthirschen steht nicht allein mit der Verwirrung, es will, wie so viele Inszenierungen in der letzten Zeit, ein Thema restlos ausschöpfen und zur Gänze auf die Bühne stellen. Doch so wiederholt sich nur das unvermittelte, ja unvermittelbare Nebeneinander, das das Spiel prägt, auch im Text. Textfetzen steht an Textfetzen, Themenkomplex neben Themenkomplex. Es ist ein Patchwork aus schönen und hässlichen, schlauen und dummen Passagen, als Ganzes letztendlich ermüdend.

„Das Alter“ ist ein weites Feld, wie „die Liebe“, „das Leben“, „das Sein“ oder auch „die Sexualität des Menschen in all ihren Spielarten“. Im Alter sind die Themenbereiche zurückgewiesenes und unterdrücktes Begehren, Abgeschobenwerden, Erfahrungsreichtum, Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, eingeschränkte Mobilität, Verluste, Vergesslichkeit und schließlich Sterben aufgehoben. Wenn man, wie es dieses Stück tut, das alles aber nur anreißt im unbedingten Willen, keinen Themenbereich vergessen zu haben, wird alles beliebig und auf ein Boulevardtheaterniveau heruntergeputzt.

Dementsprechend müssen grelle Effekte über die Inhaltsleere hinwegtäuschen. Das ist schade, sowohl die Schauspieler als auch einzelne Stücktextpassagen hätten mehr verdient, die Autoren Mayröcker, Claudia Wolff und vor allem Jean Améry mit dem Essay „Über das Altern“ sowieso. JÖRG SUNDERMEIER

Weitere Aufführungen: 7.–9. 12., 13.–16. 12. jeweils 20 Uhr, Theaterkapelle, Boxhagener Straße 99