ZUSAMMEN FRÜHSTÜCKEN
: Dreckiges Schicksal

In diesem Moment kämpfen wir beide gegen die Tränen

Es ist Sonntagmorgen, die Straßen sind leer, die Sonne scheint und vielfarbige Krokusse am Straßenrand erzählen die Geschichte vom nahenden Frühling. Mein kleiner Sohn lacht, meine Frau schmiegt sich sanft an mich, wir sind auf dem Weg zu einem kleinen französischen Café, wollen dort frühstücken. Wir schlendern die Schönhauser Allee entlang und begegnen Richard. Als wir ihn das letzte Mal sahen, war meine Frau gerade schwanger. Damals konnte er noch auf Krücken gehen. Jetzt sitzt er im Rollstuhl. Richard hat Multiple Sklerose.

Ich kenne Richard seit 1997. Zum ersten Mal begegneten wir uns auf einer Studentenparty. Er war jung, gesund, witzig, frech und hatte ein Auge auf meine damalige Freundin geworfen. An diesem Abend hätten wir uns fast geprügelt. Im Verlauf der Jahre trafen wir uns immer wieder auf Partys, in Cafés, auf irgendwelchen Veranstaltungen. Wir mochten uns, plauderten über Bücher, Fußball und irgendwann auch über seine Krankheit. Ohne jemals unsere Adressen ausgetauscht zu haben, führte uns das Leben immer wieder zusammen. Jetzt stehen wir auf der Schönhauser Allee, Richard sitzt abgemagert in seinem Rollstuhl. Seine Pflegerin ist auch dabei.

Wir haben uns nahezu drei Jahre nicht gesehen, die Begrüßung ist sehr warmherzig. Mit zärtlich melancholischer Stimme fragt er: „Na, und du kleiner Mann, wer bist du? Wir kennen uns ja noch gar nicht.“ Mein kleiner Sohn sagt „Hallo“ und lächelt unbeschwert. In diesem Moment kämpfen wir beide gegen unsere Tränen, versuchen, so gut es geht, Haltung zu bewahren. Niemand will hier Opfer sein, es ist ganz einfach das Schicksal, das blöde, dreckige und hinterhältige Schicksal, welches unsere Leben bestimmt. „Richard“, sage ich, „kommst du mit uns frühstücken? Wir würden uns freuen.“ „Ja,“ sagt er, „lass uns frühstücken.“ ALEM GRABOVAC