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: Zwischen Wachkoma und Wiederbelebung

FUSSBALL Beim doppelten Duell Berlin gegen Hamburg begegneten sich vier vor sich hinsiechende Vereine. Eine Krankengeschichte

Rettung ist nah: Welch schöne warme Worte, wenn man angeschlagen durch die Liga taumelt, wenn man halb bewusstlos in den Niederungen der Tabelle vor sich hin vegetiert, wenn man am Tropf hängt oder nur noch dank lebenserhaltender Maßnahmen auf der Fußballwelt ist. Tatsächlich begegneten sich beim zweifachen Duell Berlin gegen Hamburg am Freitagabend vier schwer vor sich hinsiechende Vereine.

Die beiden Berliner Fußballklubs sind der Rettung dabei ein riesiges Stück nähergekommen. Dank eines Last-Minute-1:0-Siegs im heimischen Stadion gegen den FC St. Pauli müsste bei Union schon einiges passieren, dass der Köpenicker Zweitligist doch noch mit dem Abstieg in Liga drei zu tun haben sollte. Mit 34 Punkten und Platz elf ist man so gut wie genesen.

Und auch vom Hertha-Team, das im Hamburger Volkspark am gleichen Abend ebenfalls kurz vor Spielende 1:0 gewann, sagt man, der Patient atme wieder. Dank nun 29 Punkten und Rang 13 hat man ein 4-Punkte-Polster auf den Gegner von der Elbe, der weiter auf Relegationsrang 16 steht. Hertha-Chefarzt Pal Dardai konnte nicht nur wegen Sebastian Langkamps Kopfballtor fünf Minuten vor Schluss deutliche Zeichen eines gestärkten Selbsterhaltungstriebs ausmachen: „Meine Spieler sind willig, sie sind bissig.“

Flasche leer

Bei den beiden Hamburger Teams wirkt der Infusionsbeutel am Tropf dagegen derzeit wie Flasche leer. „Das ist ein herber Rückschlag, das müssen wir erst mal verdauen. Das Resultat bedeutet, dass wir unten dick drin sind und auch erst mal drinbleiben“, sagte HSV-Klinikdirektor Peter Knäbel. Derweil gibt es Diskussionen um seinen Chefchirurgen Joe Zinnbauer. Man sagt, er erreiche seine Patienten nicht mehr, eine Entlassung gilt als sehr wahrscheinlich. Am Sonntag wollte sich die HSV-Spitze Medienberichten zufolge mit dem Glücklosen treffen.

Der FC St. Pauli liegt eine Etage tiefer nach der knappen Niederlage weiter im Wachkoma – 22 Punkte bedeuten vier Punkte Rückstand auf einen sicheren Tabellenplatz. Auf der Station an der Alten Försterei konnte man gegen Ende der Partie meinen, St. Pauli wolle sich selbst die Schläuche ziehen. Nachdem es knapp 90 Minuten auf dem Rasen ein Überlebenskampf auf spielerisch mäßigem Niveau war, versprang St.-Pauli-Torwart Robin Himmelmann eine Minute vor Ablauf der Spielzeit der Ball beim Versuch, im eigenen Sechzehner zu klären. So legte er für Union-Stürmer Sebastian Polter auf – der bedankte sich, indem er zum Siegtreffer einschob. Für St.-Pauli-Fans ein bitterer Moment.

Polter, der gut nachgesetzt hatte, sagte nach der Operation: „Man macht das 200 oder 300 Mal in der Saison und hofft, dass der Torwart einen Fehler macht.“ Dieses Mal hoffte Musterpatient Polter nicht umsonst und konnte sich über einen „dreckigen Sieg“ freuen – vergaß aber in der Stunde der Gesundung nicht den weiter krankenden Gegner: „St. Pauli soll so weitermachen. Das ist ein Club, der in die 2. Liga gehört, allein von der Fankultur her.“

21.717 Zuschauer erlebten, wie die elf Unioner hingegen die Intensivstation mit dem Abpfiff verlassen konnten. Union-Oberarzt Norbert Düwel lobte den stabilisierten Zustand, wollte dennoch nicht vom gesicherten Verbleib in Liga zwei sprechen: „So lange das Ding rechnerisch noch nicht durch ist, werde ich nichts anderes sagen oder in der Kabine predigen.“

Zur Reha nach Sandhausen

Ewald Lienen, Professor für angewandte Nichtabstiegswissenschaften beim FC St. Pauli, der kürzlich als potenzieller Retter zum Stadtteilklub gekommen war, sah jede Menge Glück auf des Gegners Seite: „Union hat es nicht verdient, dass sie gewonnen haben.“

In den kommenden beiden Wochen werden die Berliner Patienten wegen der Länderspielpause ruhen. Am Köpenicker Klubkrankenhaus stehen die Zeichen auf Entspannung, die Pflegebedürftigen sollen schon wieder feste Kost zu sich nehmen. Von dort heißt es, man wolle in zwei Wochen zur Reha nach Sandhausen fahren. In den Hertha-Heilanstalten wird am Osterwochenende Paderborn zu Gast sein – gegen die Ostwestfalen soll die endgültige Rettung gelingen. JENS UTHOFF