Von Tieren, die einfach verschwinden

TRAUMWELTEN Der Hamburger Schriftsteller Michael Weins erzählt in seinem neuen Buch von bizarren Tieren, den zugehörigen Menschen und ihren überaus wunderlichen Gemeinsamkeiten

Weins hat ein Buch geschrieben, das man bei sich tragen sollte

Am Anfang schweift der Blick über die Felder. Hält sich zunächst an den ersten Bäumen fest, die dort stehen, wo der dunkle Wald beginnt. Wo seinerseits der Wolf wohnt, in einem Bauwagen. Der große, der böse Wolf. Der früher im Showgeschäft unterwegs war, unter Schweinen aufgewachsen ist und sich nichts mehr aus Sex macht. Und den der Junge immer wieder besucht; nicht nur, aber auch weil der Wolf wie jeder anständige Wolf ein Geheimnis hat, das man ihm entlocken könnte.

„Der Wolf“ heißt schlicht die erste Geschichte aus dem neuen Buch des in Hamburg lebenden Autors Michael Weins, der unter anderem den Hamburger Literaturclub Macht e.V. mitgründete. Das Werk versammelt zwölf Tiergeschichten – unterteilt in die Rubriken „Tiere, die im Regen stehen“, „Tiere, die in Kreisen gehen“ und „Tiere, die im Dunkeln sehen“.

In der Regel können Weins Tiere sprechen; mal halten sie sich im Hintergrund, meist aber bestimmen sie das Geschehen. Mal sind sie aus Fleisch, Blut und dichtem Fell, mal aus blauem Plüsch. Oft verschwinden Menschen in Weins Mensch-Tiergeschichten auch – oder sind verschwunden. Oft sind die Erwachsenen seltsam ratlos bis hilflos bis unendlich verloren.

In einer Geschichte etwa nimmt ein Junge seine Mutter überall mit hin, auch in die Schule; seine Mutter, die stets barfuß geht, die nur noch Geräusche von sich gibt – wie ein Tier, vielleicht. In einer anderen Geschichte befiehlt der Vater dem Sohn, das Lieblingsschwein zu schlachten.

Es wundert nicht, dass in den Geschichten viel geschlafen wird, entsprechend wird auch viel geträumt. Manche Geschichten funktionieren wie Traumschleifen, andere enden abrupt, wie man beim Umblättern ungläubig feststellt.

Tatsächlich habe sein Verlag ihn hin und wieder gefragt, warum er nicht weitererzähle, sagt er. Doch Weins blieb eisern: „Ich wollte diese Geschichten um kein Geld der Welt weitererzählen, auch wenn es der bessere Text, die bessere Geschichte geworden wäre.“ Seine Geschichten seien „so zwingend, so stimmig erzählt und so schön, dass ich kein Wort hinzufügen wollte“.

Und er hat sich durchgesetzt, so wie es umgekehrt für den Verlag spricht, das er sich auf die Intuition seines Autors verlassen hat. Und Weins sagt: „Meine Hoffnung ist, dass da, wo die Imagination zu schwach glimmt, ich mit meinem Anzünder komme und es fängt an zu flackern und das Brennholz feuert die Imagination des Lesers an.“

Weins ist mit diesem Unterfangen nicht allein: Seine Geschichten werden flankiert von den Illustrationen der Zeichnerin Katharina Gschwendtner, die vordergründig an Scherenschnitte erinnern, oder an sehr eigen-realistische Zeichnungen. Doch Gschwendtner hat nicht einfach nur Weins Geschichten nachillustriert, wie Weins auch nicht ihren Illustrationen nachgeschrieben hat. „Uns interessiert beide das Spiel mit Wirklichkeitsebenen“, sagt er.

Weins hat sich in den letzten Jahren parallel zum Schriftsteller einen zweiten ebenso ordentlichen Job erarbeitet – den des Psychotherapeuten. Er hat längst zwei Kinder, er wohnt nicht mehr in einem der üblichen quirligen Szenequartiere, sondern etwas ruhiger. Und nun hat er ein weiteres, wunderbares und so heiter wie ernstes Buch geschrieben, das man mit sich herumtragen sollte. Wenigstens so lange, bis man sicher ist zu wissen, in welche Welt man selbst gehört.  FRANK KEIL

Michael Weins/Katharina Gschwendtner: Sie träumt von Pferden – Geschichten mit Tieren, Mairisch Verlag 2015, 130 S., 16,90 Euro;

Lesung und Vernissage der Illustrationen von Katharina Gschwendtner: 26. 3., 20 Uhr, Mairisch-Laden, Schwenkestraße 68, Hamburg