Susianna Kentikian, „Killer Queen“
: Sie oder ich

Spätestens Seit Clint Eastwoods „Million Dollar Baby“ ist das Frauenboxen für die ganz großen menschlichen Sportgeschichten zuständig. Die Geschichte der kleinsten Boxerin der Welt begann vor elf Jahren in einem Hamburger Asylbewerberheim.

1996 floh die damals neunjährige Susianna Kentikian mit ihrer vierköpfigen Familie vor dem Krieg in Armenien in ein Zimmer einer ehemaligen Schule in Hamburg-Langenhorn. Die Eltern pflegebedürftig, materielle Not und räumliche Enge, dazu die ständige Angst vor der Abschiebung – das sind karge Stichworte für die Lebensumstände, die eine „Sie oder ich-Mentalität“ erzwangen. Ohne sie hätte die 1,55 Meter kleine Kentikian wohl nicht gleichzeitig ihre Familie ernähren, zur Schule gehen und sich auf den Weg zur Profi-Weltmeisterin machen können.

Die deutschen Behörden sahen lange einen anderen Weg für sie vor. Alle Versuche politisches Asyl zu erhalten scheiterten. „Sie haben dann halt gesagt, dass unser Flieger um 13.00 Uhr fliegt und wir unsere Sachen packen sollen und nach Hause fliegen“, sagt Kentikian. Obwohl erst 14 Jahre alt, war Susis Boxtalent schon damals bekannt. Ihr damaliger Trainer stampfte innerhalb weniger Stunden eine druckvolle Bürgerinitiative aus dem Boden, die die Abschiebung im letzten Moment verhinderte.

Seit drei Jahren gehört die 20-jährige Fliegengewichtlerin zum Hamburger Spotlight-Stall. Dort wurde sie mit dem Image der „Killer-Queen“ ausgestattet und kontinuierlich zur Nachfolgerin von Regina Halmich aufgebaut, die vor zwei Wochen ihre Karriere beendete. Am Samstagabend bekam die deutsche Box-Ikone als Kommentatorin hautnah mit, wie Kentikian durch einen Punktsieg gegen die Französin Nadia Hokmi ihre Nachfolge als WIBF-Weltmeisterin im Fliegengewicht antrat.

So schnell wie die Karlsruherin redet, setzt die Hamburgerin im Ring ihre Schlagkombinationen an. Ihr aggressiver, offensiver Kampfstil gilt schon jetzt als zukunftsweisend. Promoter und Fernsehanstalten setzen im Kampf um neue Zielgruppen für das Frauenboxen auf ihre fröhliche und jugendliche Ausstrahlung. Dafür gibt’s dann in Kürze auch noch den deutschen Pass obendrauf. RALF LORENZEN

SUSIANNA KENTIKIAN, 20, boxt im Training meist gegen Männer und gewann alle ihre 19 Profikämpfe. FOTO: DPA