Misstrauen verbindet

REIZTHEMA Pegida, Querfront, Friedenswinter – ihre Medienkritik ist so heftig wie nie zuvor. In Berlin diskutierten Journalistinnen und Wissenschaftler über die Ursachen der Glaubwürdigkeitskrise

Bilden die Medien die Wirklichkeit tatsächlich nicht ab, oder ist sie eher so komplex geworden, dass einfache Antworten kaum noch möglich sind?

VON ANNE FROMM

Die Vertrauenskrise der Medien hat viele Vertreter. Die prominenten heißen Udo Ulfkotte, Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci. Die weniger prominenten tragen ihren Hass auf die Straße und in Internetforen, meistens anonym. Pegida hat den NS-Kampfbegriff „Lügenpresse“ wieder salonfähig gemacht und damit vielen eine Stimme gegeben, die hinter der „Systempresse“ und den „Mainstreammedien“ schon lange ein Komplott wittern. Ihr Vorwurf: Journalisten seien gekauft, manipulativ und zu mächtig. Bei aller berechtigten Medienkritik ist ihre teilweise aggressive Form ein ernsthaftes Problem für die Qualitätsmedien – und das in einer Zeit, in der viele Zeitungen um Anzeigen und Leser kämpfen.

In der Berliner Schaubühne diskutierten am Sonntag Journalistinnen und Wissenschaftler über die Vertrauenskrise, die, so der Medienwissenschaftler Berhard Pörksen, schon lange schwelt. Die Berichterstattung über die Ukraine, Pegida und Griechenland seien nur Beispiele dafür. Sonja Zekri, die erst Moskau-, dann Kairo-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung war und seit Januar das Feuilleton leitet, ist nicht überrascht von der herben Kritik. Es habe schon immer Reizthemen gegeben, wie Israel, Islam und Gender. Aber: „Der Ton und die Masse haben sich verändert“. Durch das Internet sei es leichter geworden, seinen Hass schneller und harscher an Journalisten zu schicken. Die sozialen Medien seien oft „Brandbeschleuniger“.

Die Kritik, so hat es der Soziologe Heinz Bude beobachtet, beschränke sich weder auf ein bestimmtes Milieu noch auf eine Region. Bewegungen wie die Tea Party in den USA oder die Piraten-Parteien in ganz Europa zeigten, dass es eine „gemeinschaftsbildende Kraft des Misstrauens“ gebe. Erstaunlich sei, so die Journalistin Carolin Emcke, die die Veranstaltung moderierte, dass die Kritik sich an den gut recherchierten Geschichten, den großen Reportagen und Analysen aufhänge – und nicht da, wo man sie eigentlich vermuten würde: an den Boulevardmedien oder dem Hauptstadtjournalismus, dem man durchaus eine große Nähe zur Politik unterstellen könnte. Nur woher kommt das?

Der Soziologe Bude sieht ein Gefühl der „Embeddedheit“: Viele Menschen fühlten sich Politik und Gesellschaft zunehmend ausgeliefert. Die ideologisch-radikalisierte Variante der Medienkritiker hätte vorgefertigte Meinungen, in die es sich schnell „hineingoogeln“ ließe: Wer sucht, findet auch einen Beweis dafür, wer eigentlich hinter dem Absturz der MH-17 stecke, und noch einen und noch einen. Bildeten die Medien das nicht ab, entstünde eine „Repräsentationskrise“ zwischen Leser und Zeitungsmacher. Aber stehen die Medien tatsächlich deshalb unter Beschuss, weil sie die Wirklichkeit nicht abbilden – oder weil die Wirklichkeit so komplex geworden ist, dass die einfachen und klaren Antworten kaum noch möglich sind? Sonja Zekri glaubt, dass viele Leser sich nach moralisch stabilen Positionen sehnen, diese aber immer seltener in ihrer Zeitung fänden.

Laut Carolin Emcke ist die Kritik oft vehement „antiintellektuell, antifeministisch, antiwestlich, antisemitisch, islamophob und homophob“ – ein politisches Problem also, das über die Medien hinausgeht. Was bedeutet das für den Zustand der Demokratie?

Immerhin, könnte man argumentieren, sorgen sich nicht nur Journalisten um das Leservertrauen – und damit letztlich auch um ihren eigenen Job. Die Schaubühne war fast ausverkauft, im Anschluss an das Podium gab es viele Fragen aus dem Publikum. Nur: Die „Lügenpresse“-Skandierer saßen vermutlich nicht im Publikum, zumindest meldeten sie sich nicht zu Wort.