Caribou im Lido

Angst und Hoffnung

Es ist erstaunlich, wie ausgiebig man auf der kurzen Strecke vom Schlesischen Tor bis zum Lido klugscheißen kann. Nachdem C. erklärt hat, was es mit dem Erwartungswert in der Stochastik auf sich hat, wird nun Arnold Schönbergs Drama „Erwartung“ zerpflückt, obwohl es niemand von uns je ganz gehört hat.

Sei’s drum: Erwartungen sind unser Thema, weil wir befürchten, dass sie uns den Abend zerstören. Gleich spielt Caribou im Lido. Das versetzt uns in einen instabilen Zustand zwischen Angst und Hoffnung. Caribou ist Dan Snaith und Dan Snaith ist der Obernerd vom Dienst. Ein 28 Jahre alter Doktor der Mathematik aus Toronto, der die Musikrichtung Folktronica mitbegründet hat. Da klimperten noch Xylofone in elektronischen, lichten Klangräumen. Doch auf dem neuen Album „Andorra“ ist Snaith mutiert – zu einer psychedelischen Krautpopband. Knallbunte Dichte, verstrahlter Gesang, reinstes Hippietum.

„Begegnen wir dem mit Coolness“, rät C. Das denken sich die anderen im Lido offenbar auch, üben sich in höflicher Zurückhaltung und bestaunen Snaith, der mit geschlossenen Augen zu eiernden Synths singt. Hinten auf der Bühne spielen zwei junge Männer Gitarre und Bass, ihre Instrumente hängen ihnen knapp unterm Hals. Es ist, als schaue man kuriosen Fischen durchs Aquariumglas zu. Schon unterhaltsam, aber man bleibt immer außen vor. Bis sich Snaith vorn am Bühnenrand ans Schlagzeug hockt. Ihm gegenüber steht ein zweites Drumkit. Da sitzt ein exzellenter Schlagzeuger. Und es geht los: Beats türmen sich auf, rasen vorwärts, krachen auseinander. Niemand tuschelt mehr. Aus der pastellfarbenen Süße bricht Rhythmus hervor. Befriedigung schlägt Enttäuschung haushoch. JOANNA ITZEK