LESERINNENBRIEFE
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Großzügigkeit walten lassen

■ betr.: „Die offene Reparationsfrage“, taz vom 21. 3. 15

Ohne Zweifel hat Nazi-Deutschland weite Teile Europas verwüstet und den davon betroffenen Bevölkerungen immenses Leid zugefügt. Und sicher muss man zu dem Schluss kommen, dass, gemessen an dem angerichteten Schaden, die insgesamt ohnehin sehr bescheidene „Wiedergutmachung“ in keiner Weise hinreichend war. Die Frage ist nur, wie realistisch und vernünftig unter den gegebenen (historischen) Umständen die Forderung nach einer materiellen Kompensation ist, die sich am tatsächlichen Ausmaß des angerichteten Schadens bemisst.

Abgesehen von der Schwierigkeit, hier 70 Jahre nach Kriegsende überhaupt zu einer nachvollziehbaren Bezifferung zu gelangen, käme man hier, zöge man den Kreis aller betroffenen Länder in Betracht, rasch auf Summen, deren Begleichung auch ein Land wie Deutschland auf Jahrzehnte wirtschaftlich überfordern, finanziell ruinieren und politisch destabilisieren würde. Wem wäre mit einem derart destabilisierten und politisch sich höchstwahrscheinlich rasch radikalisierenden Deutschland gedient? Gut möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass ein derart destabilisiertes Deutschland ein weiteres Mal zum Ausgangspunkt einer kontinentalen Höllenfahrt würde. Der zweite Punkt, der in der gegenwärtigen Debatte weitgehend unterschlagen wird, ist moralischer Natur. Sicher stand die Generation der Täter in einer direkten moralischen Verantwortung, und als Rechtsnachfolgerin des Nazistaates betrifft dies auch die Bundesrepublik, wobei sich hier bereits moralische und formaljuristische Aspekte vermischen. Eine direkte moralische Verantwortung der gegenwärtigen Generationen für die Untaten ihrer Väter und Großväter gibt es jedoch nicht. Insofern stellte sich hier auch ein Problem der Gerechtigkeit: Welche Art von materieller Belastung wäre der heutigen Generation (und deren Kindern) zuzumuten hinsichtlich eines Ausgleichs der immensen Schäden, die deren Großväter verursacht haben?

Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass sich etwaige Forderungen einfach „erledigt“ hätten, wie dies die erbärmlich kleingeistige formalistische Reaktion der Bundesregierung bislang suggerieren möchte. Denn die historisch-moralische Verantwortung der Bundesrepublik hat angesichts der Monstrosität der begangenen Verbrechen auch 70 Jahre nach Kriegsende Bestand; in gewisser Weise ist sie ein tragendes Element der europäischen Einigung. Es wäre also abzuwägen zwischen mehr oder weniger berechtigten (Nach-)Forderungen auf der einen, politisch und moralisch notwendigen Grenzsetzungen auf der anderen Seite. Deutschland ist ein sehr reiches Land. Die Bundesregierung schiene mir gut beraten, in diesen Fragen eine gewisse Großzügigkeit walten zu lassen und sich – aktuell – in aller Ruhe mit Vertretern der griechischen Regierung zusammenzusetzen, um in offener Atmosphäre das Mach- und Vertretbare auszuloten. MARKUS STEUER, Darmstadt

Suche nach Feindbildern

■ betr.: „Gegen die Logik des Feindbildes“, taz vom 23. 3. 15

Sie haben ja so recht: rationales Denken und Handeln in der Politik – Verständnis, Menschlichkeit und Empathie zwischen den Menschen. Mit dem Ausgrenzen und dem Suchen nach Feindbildern werden wir immer weiter die falsche Politik machen. Die einseitige Ausrichtung auf das Sparen, auf die Aufrechterhaltung Deutschlands als Exportnation mit Niedriglohn und die Ausstattung der ärmeren Importländer mit Kapital, damit der Export erhalten bleibt, kann doch nicht funktionieren. Eine gesunde Volkswirtschaft denkt auch an den Binnenmarkt. Mit Austeritätspolitik wird die Spaltung Europas betrieben – nicht die Einigung! NORBERT VOSS, Berlin

Das nervt

■ betr.: „Kämpferin für Trans-Rechte“, taz vom 23. 3. 15

Auch wenn die taz das in der Einleitung schreibt, dass „Transsexuelle in Deutschland heute nahezu unbescholten leben können und in der Regel die gleichen Rechte haben wie andere Menschen auch“, so wird es nicht wahrer. Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er wurden mit der Einführung des Transsexuellengesetzes die Grundlagen dafür gelegt, dass transsexuelle Frauen heute weitestgehend als „Männer, die als Frauen leben wollen“ angesehen werden und nicht länger als Variation biologischer Frauen. Sie dürfen sich bis heute regelmäßig als „geschlechtsidentitätsgestört“ oder Menschen mit „Gender Dysphorie“ bezeichnen lassen. Wenn sie sich medizinisch helfen lassen wollen, dann müssen sie zuvor ein „Gender“-Testverfahren absolviert haben, bei dem es darum geht herauszubekommen, welche Kleidungsvorlieben bestehen und ob das Kind dann auch schön mit Puppen oder doch mit Autos gespielt hat. Gleichzeitig wird den transsexuellen Frauen, die sich gegen diese stereotype Einteilung zur Wehr setzen, klargemacht: Deine Expertise ist hier nicht gefragt. Sie erleben Ausgrenzung, Diskriminierung und offenen Hass. Warum berichtet ihr über Transsexualität eigentlich immer irgendetwas, aber häufig dann doch etwas, was nicht stimmt oder zumindest einige Leute anders sehen würden, die sich mit der Sachlage näher beschäftigt haben? Was bringt denn das, immer wieder dieselben Märchen zu erzählen? Da freuen sich dann vielleicht diejenigen, die sich in dem System geschlechtlicher Fremdbestimmung super eingerichtet haben. Aber das sind dann meistens nicht die Betroffenen.

Und wenn wieder in einem Artikel „öffentlich zur Geschlechtsumwandlung“ geschrieben wird, dann scheint es völlig an euch vorbeizugehen, dass es da eine ganze Menge Menschen gibt, die von sich wissen, dass sie nicht „umgewandelt“ wurden und die Problematik hinter dieser Weltvorstellung kennen: Sie macht transsexuelle Menschen unsichtbar. KIM ANJA SCHICKLANG, Ludwigsburg