Krümmel nur die Spitze

AKW-Kritiker sehen sich bestätigt: Der Zusammenhang zwischen Wohnortnähe und Krankheitsfällen ist auch in der Elbmarsch signifikant

VON GERNOT KNÖDLER

Die vielen Leukämiefälle bei Kindern in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel relativieren nur scheinbar das Ergebnis der gestern vorgestellten Studie des Kinderkrebsregisters – diese hatte die wachsende Gefahr für Kinder bestätigt, an Leukämie zu erkranken, je näher sie an einem der 16 deutschen AKW-Standorte wohnen. Erkennbar ist, dass die Elbmarsch bei Geesthacht (Kreis Herzogtum Lauenburg) zwar nicht als einziger Atomstandort mit einer besonders hohen Leukämierate geschlagen ist, dass die Blutkrebsrate hier aber besonders hoch liegt.

Das Kinderkrebsregister hat die Fälle von Krebserkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren zwischen 1980 und 2003 ausgewertet. Erstmals verglichen die Forscher dabei die Wohnorte in der Nähe von Atomkraftwerken mit den Orten ohne AKW. „Das Ergebnis passt zu ähnlichen Untersuchungen, die weltweit durchgeführt wurden“, sagt Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BFS). Dabei sei ebenfalls festgestellt worden, dass Kinder in der Umgebung von Atomkraftwerken besonders häufig an Krebs erkranken. „Überraschend ist jedoch, dass nachweislich das Risiko für Kinder, an Leukämie zu erkranken, umso größer ist, je näher sie am Reaktor wohnen“, findet König.

Der Studie zufolge sind 29 von mehr als 13.000 Krebserkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren dem Faktum zuzuschreiben, dass sie in einem Fünf-Kilometer-Umkreis um ein Atomkraftwerk wohnten. In 20 Fällen handelte es sich dabei um Leukämie (Blutkrebs). In der Umgebung des AKW Krümmel sind in dieser Zeit acht Kleinkinder an Leukämie erkrankt.

„Für die Leukämien wird das Studienergebnis von der Region um das Kernkraftwerk Krümmel am stärksten beeinflusst“, heißt es in einer Zusammenfassung der Studie. Nach dem Weglassen dieser Fälle sei der beobachtete Zusammenhang aber noch immer deutlich gewesen.

Umgekehrt wird der festgestellte Zusammenhang zwischen Kraftwerksnähe und Leukämiewahrscheinlichkeit in den Augen vieler nicht vollständig erklären, warum in der Elbmarsch besonders viele Kleinkinder erkrankt sind. Acht von 20 Leukämiefällen – das ist kein Zahlenverhältnis, das Menschen wie Uwe Harden von der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch zu beruhigen. Die Studie zeige nur, was der AKW-Normalbetrieb für Folgen habe, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete: „Ein menschlicher Körper ist empfindlicher als ein Messgerät.“ Es sei falsch, bei der Risikobewertung stets von einem 75-Kilo-Durschnittsmann auszugehen.

Harden vermutet, dass im Falle der Elbmarsch Störfälle zu den besonders hohen Erkrankungszahlen beigetragen haben. „In der Umgebung zeigten sich ne Menge ungewöhnliche Messwerte“, sagt er, „aber die wurden alle wegerklärt.“ Er nennt die Umgebungsüberwachung des Kraftwerks „löchrig wie ein Sieb“. Sie sei auf einen GAU ausgelegt. Zu viel da gar nicht erfasst.

Die Messpunkte seien von den Behörden nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgewählt worden, widerspricht Ivo Banek, Sprecher des Krümmel-Betreibers Vattenfall. Für alle relevanten Stoffe gebe es Grenzwerte, die weit unter denen eines GAUs lägen. Die Bürgerinitiative sei „herzlich eingeladen“, selbst zu messen.

Nach dem niedersächsischen SPD-Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner verlangten gestern auch VertreterInnen der Grünen einen sofortigen Atomausstieg. Die Liste der Gefahren sei um einen gravierenden Punkt ergänzt worden, sagte die Vorsitzende der Hamburger Grünen, Anja Hajduk. Detlef Matthiessen verlangte für die Kieler Landtagsfraktion, die Betriebserlaubnisse für die Atomkraftwerke müsse überprüft werden.

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