Sie küssten und sie schlagen sich

Nach den Querelen in der Bremer Linken werden Rücktrittsforderungen und äußerst heftige Anfeindungen gegen die eigene Fraktionsspitze laut. Unterdessen gibt sich die wahlkämpfende Linkspartei im benachbarten Niedersachsen gelassen

Auch die Ex-Fraktionsgeschäftsführer haben Stellung genommen: In einer an diverse Empfänger verschickten vielseitigen Mail erläuterten sie am 27. November bezüglich des – da noch nicht veröffentlichten – Stalking-Vorwurfs, ihnen sei klar, „dass dieser Teil der Geschehnisse viele sehr schwierige Fragen zur Zusammenarbeit in gemischten Organisationen“ aufwerfe. Aber „der gesamte Kontakt“ habe „in höchst respektvoller, diskreter […]Weise“ stattgefunden. Zwar sei es „richtig, dass die weibliche Deutungsmacht in Konflikten um sexuelle Belästigung ein hohes Gut“ und „das subjektive Empfinden von Belästigung entscheidend“ sei. „Trotzdem“ dürften „bloße Vorwürfe“ nicht ausreichen, „um Mitarbeiter zu kündigen“. Es sei „nicht in Ordnung denen gegenüber, die tatsächlich von […] privaten Nachstellungen betroffen sind“, wenn „die Sachverhalte der Belästigung, des Stalking, der Erpressung derart entgrenzt werden“.  taz

von JAN ZIER
und BENNO SCHIRRMEISTER

Nicht immer nur den erbitterten Streit nach vorne. Es gibt doch auch frohe Botschaften aus der wunderbaren Welt der Bremer Linken: Sie haben Nachahmer gefunden. Sowohl die niedersächsische als auch die hamburgische Partei greifen auf die markante Wahlkampf-Optik der Bremer GenossInnen zurück – kadmiumgelbe Schrift verkündet auf knalligem Rot: „Hier ist die Linke“.

Sonst gibt es allerdings nur wenig zu imitieren. Der Diagnose des der Linkspartei sonst so freundlich gesonnenen Neuen Deutschlands zufolge bieten die Wesersozialisten derzeit „ein Bild des Jammers“. Besorgt, aber nicht entsetzt blickt man von Niedersachsen aus auf die Querelen der Linken in der Bremischen Bürgerschaft. „Das wird sich jetzt wieder in vernünftige Bahnen lenken“, sagt Kreszentia Flauger, Spitzenkandidatin im Flächenstaat. „Dramatische Auswirkungen“ auf das Wahlergebnis in Niedersachsen seien nicht zu erwarten. „Bislang hat uns das noch nicht geschadet.“ Man habe zwar einen Appell an die Bremer GenossInnen gerichtet. „Das war’s dann aber auch.“ Und in Niedersachsen, so Flauger, vermittle die Linke durchaus ein „positives Bild“.

Es gibt also noch Hoffnung. Allerdings: Nichts ist fesselnder als Personalstreitigkeiten – da mögen Parteivorstand und Fraktion in einer gemeinsamen Erklärung noch so sehr davor warnen, „weiteres Öl ins Feuer“ zu gießen. Während das „offene Forum“ (Offo) der Bremer Linken eigene Erfolge achselzuckend hinnimmt oder ganz übergeht, diskutiert man dort die Entlassung des einen von zwei Fraktionsgeschäftsführern in aller Breite. Gut, einem wurde zur Kompensation ein Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter angeboten. Beim anderen hat der Vorstand jedoch einen radikalen Schnitt vollzogen. Und der 50-Jährige hatte im Wahlkampf doch intensiv mit der Basis zusammen gearbeitet.

„Es gibt Dinge, die gehören einfach nicht öffentlich diskutiert.“ Das war zunächst das Äußerste an Mitteilung zu diesem Komplex, vorgetragen vom Bremer Linkspartei-Abgeordneten Klaus-Rainer Rupp auf einer Kreismitgliederversammlung Ende November. Aber das kam im Offo nicht gut an: Schweigen über die Gründe – das konnte nur Intransparenz und Machenschaften bedeuten.

Dann waren Stückchen für Stückchen Fakten auf den Tisch gekommen: Einerseits musste der Bund-Länder-Koordinator der Linken, Bodo Ramelow, feststellen, dass beide Teilzeitkräfte ihre elementarsten Fraktionsgeschäftsführer-Tätigkeiten vernachlässigt hätten. Von einer „Buchhaltung im Schuhkarton“ war da etwa die Rede.

Das Verhalten des 50-jährigen Geschassten gegenüber der stellvertretenden Fraktions-Vorsitzenden charakterisierte Ramelow mit der unschönen Vokabel „Stalking“. Fraktions-Chefin Monique Troedel nannte es, relativierend, „Stalking-ähnlich“. Das wurde mit Schilderungen untermauert: Der alte Kämpe hatte die 27-Jährige beim Arbeitsessen angebaggert. Sie wollte von seinen Gunstbezeugungen nichts wissen. Trotzdem schickte er ihr Mails schlüpfrigen Inhalts und ähnlich geartete SMS.

Im Offo regt man sich nun darüber auf, dass ein altgedienter Parteifreund „wegen ein paar Emotionen, die uns glücklicher weise keiner verbieten kann, wegen einiger SMS ‚hingerichtet‘“ würde. Ja, ein „aktiver Forenteilnehmer“ wittert sogar eine „Bremer Watergate-Affäre“ – um deren „Aufklärung“ er bemüht sei: Seine Deutung geht in Richtung feministische Verschwörung. Denn Schuld an der ganzen Affäre sei eine „Fundamentalfeministin in der Fraktionsspitze“. Gemeint ist Monique Troedel.

Weshalb es jetzt an der Zeit für Demutsgesten sei: „Das Mindeste“, heißt es in einem Eintrag von Sonntag, „wäre der Rücktritt von allen Ämtern dieser beiden Protagonistinnen.“ Wobei der Mann möglicherweise auch nichts gegen Steinigung einzuwenden hätte. Schließlich hätten sowohl die Fraktionsvorsitzende als auch ihre Stellvertreterin für ihn „alle Persönlichkeitsrechte verwirkt“.

Vergangene Woche hatte die Fraktionsführung der Linken in Bremen eine Vertrauensfrage für sich entschieden, mit fünf gegen zwei Stimmen. Das bedeutet: Der dreiköpfige Vorstand hat zwei UnterstützerInnen – und zwei interne Gegner. Gestern nun lehnte Troedel einen Rücktritt entschieden ab: Von „Einzelmeinungen“ werde sie sich „nicht irritieren oder in die Knie zwingen“ lassen. Man nehme die Kritik zur Kenntnis. Von Seiten des Landesvorstandes und anderer Organe seien jedoch keine Rück- oder gar Austrittsforderungen an die Fraktionsspitze herangetragen worden.

Wenigstens ein Konflikt ist mittlerweile geklärt: Jost Beilken, bildungspolitischer Sprecher der Fraktion, erklärte gestern eindeutig, dass die Linke – anders als ZuhörerInnen beim jüngsten Bürgerschaftsplenum gehört zu haben glauben – nicht für sozial gestaffeltes Schulgeld eintritt.