Das Mutterschiff

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die Kantine des Bundestags ist die Repräsentantin aller deutschen Esser. Es schmeckt grauslig

Der deutsche Angestellte braucht sein warmes Mittagessen. Nicht zum Erhalt der Leistungsfähigkeit, sondern um seine Kollegen im Auge zu behalten. Man weiß ja nie, wer an wessen Stuhl sägt. Der Zweck der Kantine besteht eben nicht im Essen. Anders kann man nicht erklären, weshalb sich Abertausende von Menschen jeden Tag mit lieblos gekochten Gerichten abspeisen lassen.

Die Kantine des Deutschen Bundestages im Jakob-Kaiser-Haus bildet keine Ausnahme zu dieser Regel, sie verkörpert sie. Wenn das Parlament die Repräsentation aller Deutschen sein soll, dann kann man getrost behaupten, die hier ansässige Kantine sei die Repräsentantin aller deutschen Esser. Zwar gibt es in den Regierungsgebäuden noch Restaurants, Cafeterien, doch die Kantine für Volk und Freund bietet mit 560 Plätzen einer ordentlichen Masse von Angestellten Platz. Und damit beginnt und endet das Leid.

Nähert man sich der großen, modernen, hellen Kantine am Freitag, schlägt einem ein starker Fischgeruch entgegen. Freitag ist nämlich Fischtag und dann gibt es irgendein Tralalafilet, das man nicht mehr zu probieren braucht, wenn man es schon gerochen hat. So stehen wir am Tresen und besprechen, wer nun was essen soll. Das Wort „Vielfalt“ wird benutzt, sehr zu Erheiterung der anderen, mithörenden und kopfschüttelnden Gäste.

Wir entscheiden uns für den Kalbsbraten mit Bohnen und Kroketten, die Pasta mit Tomaten- und Kürbissauce und einen Nougat-Pralinenmousse-Nachtisch. Mit dem Tablett in der Hand manövrieren wir durch die halbleere Kantine. Freitag ab eins macht im Bundestag tatsächlich jeder seins. Abgeordnete sind nirgends zu sehen, einzig bekannte Gesichter sind die Herren Wagner und Deppendorf vom Hauptstadtstudio der ARD. Immer wieder schallt lautes Gelächter durch den Raum, man hat wohl viel Spaß, wenn man im Parlament arbeiten darf.

Am Essen kann das nicht liegen. Vom Kalbsbraten bekommt man drei Scheiben auf dem Teller gehauen, mehr, als man essen kann. Wie wäre es mit zwei, die dafür nach etwas schmecken? Die Bohnen wurden zerkocht, die Pastasauce ist vor Langeweile kaum zu überbieten. Ganz grauselig wird es beim Nachtisch. Man lässt ihn am besten gleich stehen.

Im Großen und Ganzen ist mit der Kantine des Bundestages eigentlich alles in Ordnung. Mit unseren Essgewohnheiten aber stimmt definitiv etwas nicht, wenn das Essen im Jakob-Kaiser-Haus einfach so klaglos hingenommen wird.

KASINO DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES, 11011 Berlin-Mitte, Aktionsgericht heute: „Five Spice Beef“ – Rindfleisch mit Bambus, Pak Choi, grüne Bohnen, Hot-Spice-Sauce und Mie-Nudeln, € 3,70, ca. 430 kcal