Die kulturelle Leiche Westberlin rührt sich

Lange Jahre war die Berliner Kulturpolitik auf den Osten fixiert. Jetzt, wo der Hype um das Neue Berlin verblasst, geht der Blick in Richtung Westen: Dort haben ein paar Theater die Nachwendezeit überlebt, andere wagen den Neustart

Nach der Wiedervereinigung der Berliner Kulturlandschaft in den Jahren nach 1990 waren es besonders die Bühnen im Westen, die sich warm anziehen oder ganz schließen mussten. Das schnell von der offiziellen Politik propagierte „Neue Berlin“ befand sich in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg. Hier fanden die metropolensüchtigen Westberliner Provinzpolitiker, in deren grobmotorisch ungelenke Hände die Zeitläufte diese Stadt plötzlich gespielt hatte, noch Spielräume. Im Westen dagegen hatte eine verfehlte Kulturpolitik – vor allem falsche Personalentscheidungen an Schiller und Schlosspark-Theater – die einst berühmten Bühnen längst ausgeblutet und reif für den Abschuss gemacht.

Inzwischen, wo das Neue Berlin anfängt, etwas ältlich auszusehen, blickt man wieder in den Westen. Die einst berühmten Staatsbühnen Schiller und Schlosspark-Theater wurden an private Entertainmentunternehmen verramscht, was nicht nur an die Substanz der Gebäude und ihrer Ausstattung, sondern auch an ihre kulturelle Strahlkraft ging. Im Schillertheater, das von 2010 bis 2014 zur Ersatzspielstätte für die Staatsoper Unter den Linden werden soll, gastieren heute Produktionen, die selbst am Potsdamer Platz oder im Admiralspalast keiner nehmen würde. Das Schlosspark-Theater, dieses einst legendäre Haus, ist inzwischen ganz aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden und wird nur schwer wiederzubeleben sein.

Die einzigen Bühnen, die auch nach der Wende im Westen weiter funktionierten, sind die Schaubühne am Lehniner Platz, das Grips Theater und die ehemalige Freie Volksbühne, die inzwischen als Haus der Berliner Festspiele Schauplatz internationaler Gastspiele ist. Zwar erwacht das Haus der Berliner Festspiele, das so berühmte Intendanten wie Erwin Piscator und Hans Neuenfels hatte, nur zu den Gastspielen aus seinem Dornröschenschlaf. Aber es besetzt immerhin einen Punkt in der hiesigen Kulturlandschaft.

Doch die kulturelle Leiche Westberlin rührt sich wieder. Das ehemalige Hansa-Theater in Moabit, das lange auf Rang eins in der Liste der piefigsten Theater dümpelte, wurde unter dem Namen Engelbrot als Ort für gehobene Kleinkunst reanimiert. In der Tribüne am Ernst-Reuter-Platz, nach dem Krieg eine bedeutende Bühne für allerneueste Dramatik und zuletzt durch den tragischen Tod ihres künstlerischen Leiters nach einem verfehlten Relaunch arg gebeutelt, übernehmen die Dramatikerin und Regisseurin Anna Langhoff und der deutschrussische Dramatiker Alexej Schipenko nun die künstlerische Leitung. Langhoff stammt aus einer berühmten DDR-Theaterdynastie; Schipenko hat einst Thomas Ostermeiers Baracke als Junger Wilder mit selbst geschriebenen inszenierten Stücken aufgemischt.

Und vielleicht geschieht ja auch ein Wunder in Steglitz, wenn nun auch das Schlosspark-Theater in die öffentliche Hand zurückgekehrt sein wird. Die Theaterhelden der Wende wie Frank Castorf sind alt geworden, es knirscht im Gebälk der Nachwendeordnung dieser Stadt.

ESTHER SLEVOGT