Verkauft den Kiez! Ein Plädoyer

Die Hamburger Reeperbahn hat ein Problem: Die Kiez-Besucher. Denn die trinken zu viel, hinterlassen Wochenende für Wochenende riesige Müllberge, feiern zu laut und prügeln sich zu arg. Es könnte so schön sein, wenn nur ausgewähltes Publikum käme, das in Maßen tränke und den Dreck in den nächsten Ascheimer würfe. Nur leider ist die Reeperbahn – oder das „Kontrollgebiet“ wie Hamburgs Innensenator Udo Nagel sagt – einfach eine öffentliche Straße. Und die darf erst mal jeder betreten. Doch es gibt einen ganz simplen Ausweg: Privatisieren!

„Um keine andere Straße Deutschlands ranken sich mehr Mythen und zu keiner gibt es buntere Anekdoten zu erzählen: Die Reeperbahn ist die bekannteste Partymeile der Welt“, schreibt der Hamburger Tourismusverband. Es spricht nichts dagegen, diese Feierstraße in eine Art Ausstellung zum Mitmachen umzufunktionieren. Zaun drum, Eintritt verlangen und die dann aufgebauten Drehkreuze an der S-Bahn Reeperbahn und der U-Bahn St. Pauli darf nur passieren, wer ins Konzept „Sauberer Spaß“ passt. Dann könnte sich die Stadt ihren Appell an Kiosk- und Tankstellenbesitzer schenken, keine Glasflaschen und an den Wochenenden nach 23 Uhr keinen Alkohol mehr zu verkaufen. Eine private Kiez-Betreibergesellschaft könnte einfach auf das Hausrecht pochen. Auch die Frage, ob es Sinn hat, nur für einen Straßenzug das Alkohol-Trinken zu untersagen, wo es doch rund um die Reeperbahn genügend andere Möglichkeiten gibt, sich günstig mit Bier zu versorgen, wäre vom Tisch.

Seit dieser Woche ist auf der Reeperbahn das Tragen von gefährlichen Gegenständen wie Schusswaffen, Messern, Armbrüsten, Handschuhen mit harten Füllungen, Knüppeln und Tierabwehrsprays verboten. Abgesehen davon, dass man sich fragen kann, warum man abseits der Reeperbahn Armbrüste herumtragen darf, steckt hinter diesem Verbot ein langwieriges Verfahren. Erst nach einer Bundesratsinitiative von Hamburg wurde im September in Berlin das Waffengesetz geändert. Und Nagel tönte danach: „Das Waffentrageverbot ist im Zusammenwirken mit Polizeipräsenz, mit lageabhängigen Kontrollen und mit der Videoüberwachung ein weiterer Baustein für die Sicherheit der Menschen in unserer Stadt.“

Ein privater Spaßpark Kiez hätte diese Probleme nicht, bräuchte keine Gesetzesänderungen aus Berlin, um den Besuchern die Taschen zu durchsuchen und müsste keinen Strafkatalog für das Tragen von Waffen ausarbeiten. Da würde einfach schnell ein lebenslanges Hausverbot erteilt. Viel wirksamer als Geldstrafen.

Dann wären da noch die Herbertstraße und der Straßenstrich. Nun, die müsste der private Betreiber selbstverständlich weiterführen, um wenigstens annähernd die 2,5 Millionen Kiez-Besucher pro Jahr zu halten. Ohne käufliche Liebe kein Kiez, so viel scheint sicher, und diese lang gehegte Tradition wird sich auch ein privater Investor nicht nehmen lassen. Es bleibt aber zu überlegen, ob die Frauen nach und nach durch Schauspielerinnen ersetzt werden können, die die Rolle der Huren mimen. Ähnlich den Erschreckern in Geisterbahnen.

Eine Sache gibt es bei all den Vorteilen der Privatisierung dann doch zu bedenken: Die Kiez-Besucher. Die müssen trotzdem kommen und feiern. Und Alkohol trinken sollen sie auch, denn sonst werden die ansässigen Bars und Clubs sicher nicht mit der Umwandlung in einen Spaßpark einverstanden sein. Aber mit Verboten ist das so eine Sache. Neulich gab die Hamburger Band „Tocotronic“ ein Konzert in einem Nichtraucherkonzerthaus. Die Zuhörer wippten, hielten sich brav an das Rauchverbot und tranken Bier aus Plastikbechern. Bis zur Zugabe, als der zweite Gitarrist mit Bierflasche und angezündeter Zigarette zurück auf die Bühne kam und die Band ihr Stück „Pure Vernunft darf niemals siegen“ zu spielen begann. Da war es sofort Aus mit dem Rauchverbot. Dass Verbotenes Extra-Laune macht, müsste die private Kiez-Betreibergesellschaft natürlich in die Planung aufnehmen. ILKA KREUTZTRÄGER