Ohrenschlackermusik

Killl sind nur Lärm, Geschwindigkeit, Licht und Präszision: Heute Abend wird die norwegische Metalband im Lido wieder ihre neunschwänzige Lärmkatze schwingen

Die Vorankündigung ist der Softporno des Journalismus. Sie wanzt sich irgendwie schmierig an things to come heran, tönt meist groß, dabei ist ja eigentlich noch gar nichts passiert. Trotzdem will man manchmal schon im Vorfeld krähen: einfach weil es hier mal so richtig saftig etwas zu empfehlen gibt.

Heute Abend im Lido spielen Killl. Killl sind vier nicht mehr ganz junge und auch nicht mehr vollständig schlanke Norweger –Are und Erlend Mokkelbost, Martin Horntveth und Espen Hangård, die sonst in Bands wie Jaga Jazzist, Single Unit und No Place To Hide spielen. Für norwegische Verhältnisse sind so etwas wie eine All-Star-Band der härteren Gitarren-Gangarten. Killl haben bislang keinerlei physische oder digitale Veröffentlichungen vorzuweisen, außer zwei kurzen Probenmitschnitten auf ihrer Myspace-Seite. Killl haben bislang ein einziges Mal in Berlin gespielt, und zwar beim Club Transmediale 2005. Dieses Konzert damals war ein derartiger Hammer, dass einem jetzt noch die Hände feucht werden beim Drandenken.

Killl machen Metal, könnte man sagen. Psychedelischen Metal. Mathematischen Metal. Elektronischen Metal. Experimentellen Metal. Sehr schnellen Metal. Vielleicht auch avantgardistischen Speed-Noise-Hardcore. Auf jeden Fall: wahnsinnig laute und unglaublich intensive Ohrenschlackermusik. Killl stellen sich mit zwei Gitarren, einem Schlagzeug und einigen Synthesizern vor eine schreiend bunte Sixies-Mustertapete, die allein schon für Sinnestäuschungen sorgt, und legen los.

Die Gitarren bilden zusammen mit dem Schlagzeug eine fast schon soldatisch homophone Soundphalanx, darüber quietschen gequälte Synthiefilter. Mit 180 Schlägen pro Minute, mindestens, dreschen ultraexakte, vertrackt synkopisch betonte Rhythmuspatterns aus den Lautsprechern, dazu zuckt der Stroboskopblitz. Da-da-da-da-da-da-da. Und Stille. Nur das Ticken eines elektronischen Metronoms steht im Raum für einige Sekunden, dann schlägt die neunschwänzige Lärmkatze wieder zu. So lange, bis man im Blitzgewitter nur noch weißes Rauschen wahrzunehmen meint.

Dabei ist es vielmehr ein schwarzes Loch, das man da hört. Denn dichter lässt sich Gitarrenmusik kaum denken. Killl generieren in ihren mal zackig knappen, mal trancehaft ausufernden Stücken blitzende Kondensate der Metal-Genres: Mal steht da plötzlich ein Klischee von einem Hardrock-Riff im Raum, mal schliert eine zusammengedampfte AC/DC-Hookline als Klammer durch den Exzess, mal scheint ein Vierminüter nichts weiter zu sein als ein vakuumverpacktes Metallica-Lick. Dann ertönt plötzlich das Ur-Grunzen sämtlicher jemals da gewesener Black Metaller und ist auch schon wieder weg. Und immer, wenn man kurz denkt, „das ist abstrakte Brainfuck-Musik zum Rumstehen und Rumanalysieren“, schlagen Killl wieder einen Haken und kommen mit einer neuen Überwältigungsstrategie daher, die zum vollkommen konkreten Headbangen im Dreiertakt nötigt.

Killl also machen Musik mit transzendentalem Anspruch. Und zwar nur das. Gesten gemeinschaftlicher Spiritualität (zu Teufelshörnern gespreizte Fingerchen, Ansagen ans Publikum) sind ihnen genauso fremd wie Posen lederberockter Supermännlichkeit. Killl sind nur Lärm, Geschwindigkeit, Licht und Präzision.

KIRSTEN RIESSELMANN

Heute Abend (Mittwoch, 12. 12.), 21 Uhr, Lido; Vorband: Übergang (mit Christoph de Babalon)