die taz vor sechs jahren über die un-truppen in afghanistan
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Wie kurz darf ein Gedächtnis sein und wie eng ein Blick, wenn man die Verantwortung für das Leben anderer Leute übernimmt? Offenbar ganz kurz und sehr eng. Alle Pläne für die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Afghanistan lassen im Lichte vorangegangener Erfahrungen einen Erfolg dieser Mission als nahezu ausgeschlossen erscheinen. Von ungefähr 3.000 internationalen Soldaten ist die Rede, die ausschließlich die Hauptstadt Kabul schützen sollen. Eine Kontrolle des ganzen Landes wird als zu schwierig und aufwändig abgelehnt. Die Hoffnung, auf diese Weise die Verhältnisse stabilisieren zu können, ist nicht mehr als Optimismus zu bezeichnen. Das ist Leichtsinn.

Zur Erinnerung: In Somalia befanden sich zeitweise 30.000 UN-Soldaten. Sie kontrollierten am Schluss nicht einmal mehr die Zufahrtswege zu ihren eigenen Kasernen. Noch immer herrscht dort Krieg. Jetzt sollen zehn Prozent dieser Truppen für Afghanistan ausreichen? Das kann doch niemand ernsthaft glauben. Chaos hat sehr unterschiedliche Gründe. Einige Gesetzmäßigkeiten aber gelten für alle Länder, die jahrelange Gesetzlosigkeit hinter sich haben. Die Gesellschaft ist brutalisiert. Ein Menschenleben zählt wenig. Die Gruppen, denen die Loyalität der Einzelnen gilt, werden immer kleiner – manchmal ist es nur noch die Familie. Die Sicherung des eigenen Überlebens hat höchste Priorität. Ein 27-Jähriger, dessen Lebenserfahrung davon geprägt ist, dass eine Kalaschnikow schnelle Beute verspricht, ist nur mühsam davon zu überzeugen, seine Waffe abzugeben und seine Zukunft als Bauer zu suchen. Was für den kleinen Banditen gilt, trifft in noch stärkerem Maße auf den Milizenchef zu, der sich von seinem Kampf reiche Pfründe erhofft. Manche afghanische Militärführer haben angekündigt, die Übergangsregierung nicht anzuerkennen. Ihre Zahl dürfte steigen. Was wollen 3.000 UN-Soldaten in Kabul vor diesem Hintergrund ausrichten? Bettina Gaus, taz 12. 12. 2001