ABENTEUER S-BAHN
: Auf dem Abstellgleis

„Sie brauchen keine Angst haben“, sagt eine ältere Frau laut

Wer regelmäßig S-Bahn fährt, kann schon mal ein mulmiges Gefühl bekommen. Dabei sind nicht nur mitunter bedrohlich wirkende Mitreisende ein Problem, sondern auch technische Defizite, von denen man nicht weiß, wie gravierend sie sind.

S-Bahnhof Friedrichsfelde, morgens im Berufsverkehr: Die S-Bahn bremst und kommt unter der Brücke der Rhinstraße zu stehen. Die Türen öffnen sich, ein paar Leute steigen ein – und ein scharfer Geruch nach verbranntem Gummi quillt durch den Waggon. Brennt es? Einige Fahrgäste blicken verunsichert um sich. Die S-Bahn fährt weiter. Notbremse und Nothammer mit den Augen fixierend, überlege ich, wie man im Fall des Falles rauskommt. „Sie brauchen keine Angst haben“, sagt laut eine ältere Frau zu mir, die mir gegenübersitzt. „Der Geruch kommt von der Straßenbahn, die oben auf der Brücke gebremst hat“, ergänzt sie. „Das riecht hier oft so.“

Einige Wochen später am S-Bahnhof Warschauer Straße, morgens im Berufsverkehr im Zug nach Westkreuz: Ungewöhnlich viele Leute steigen plötzlich aus; nur in meinem Abteil, etwas abgelegen hinter dem Fahrrad- und Gepäckbereich, bleiben alle sitzen. Einige Augenblicke später fährt die S-Bahn weiter – aufs Abstellgleis. „Was soll das?“, ruft einer, „wir haben doch nichts gehört, keine Durchsage vom Bahnhof oder vom Fahrer.“ Ein anderer meint: „Wenigstens ist es warm. Und bestimmt fährt die Bahn bald zurück.“

Ein paar Minuten passiert nichts. Dann schlurft draußen der Lokführer vorbei. Kräftig klopfe ich an die Scheibe. Er schaut uns irritiert an, ruft dann laut: „Öffnen Sie das Fenster!“ Ich gehorche. „Bleiben Sie sitzen, der Zug fährt in einigen Minuten zurück, und Sie können auf dem Bahnhof aussteigen.“ Später erfahre ich im Radio, dass es am Hackeschen Markt zum kompletten Stillstand kam, weil jemand über die Gleise latschte.

RICHARD ROTHER