Die Linse führt ein Eigenleben

MEDIENPIONIERE Technische Poesie oder poetische Technik? Die Medienpioniere Zbigniew Rybczynski und Gabor Body in der Akademie der Künste

Ein Junge klettert durchs Fenster. Hinter ihm erhebt sich die Skyline von New York. John Lennon beginnt, „Imagine“ zu singen. Der Kleine steigt auf ein rotes Dreirad und düst in den Nachbarraum. Die Kamera fährt hinterher, doch das neue Zimmer ist das alte. Fast vier Minuten gibt es ein Kommen und Gehen, die schnell alternden Protagonisten wechseln.

Es werden Liebesgeschichten, Familientreffen und Beziehungsdramen erzählt – immer im selben Raum. Wem folgt der Blick, wem die Kamera? Der Erzählung. Den Personen. Der Kulisse, die sich nicht ändert und die doch immanent eine andere wird. Welche Rolle spielt die Musik?

Zbigniew Rybczynski scheint sich genau für diese Fragen zu interessieren. Die Akademie der Künste widmet seinen stilprägenden Musikvideoproduktionen die Hälfte der Ausstellung „Der Stand der Bilder. Die Medienpioniere Zbigniew Rybczynski und Gabor Body“. Zwei höchst unterschiedliche Konzepte prallen da aufeinander.

Der 1949 in Lodz geborene Kameramann Rybczynski ist ein Architekt der Perspektiven. Neben seinen experimentellen Videos und Filmen finden sich meterlange, auf Millimeterpapier gebannte Produktionsskizzen. Aus Bewegungsabläufen, Notenschlüsseln und Blickwinkelanalysen werden hieroglyphenartige Storyboards, die einer pedantischen grafischen Ästhetik folgen.

Diese Arbeitsweise lässt sich beispielsweise anhand des ausgestellten Materials zur animierten filmischen Collage „Tango“ beobachten. Rybczynski erhielt 1983 dafür den Oscar. Die Musikbranche wurde auf den Polen aufmerksam, seit Kurzem gab es MTV.

In der Folge arbeitet der Kameramann mit The Art of Noise, Lou Reed oder den Pet Shop Boys zusammen. Inzwischen hat sich Rybczynski auf die Produktion großflächig angelegter Malerei verlegt: Wie in seinen Filmen regieren reichlich bunte Farbschemen die mit Technikverweisen gespickten Arbeiten. Die den Bildern beigefügten Kommentare outen den perfektionistischen „Bildingenieur“ zwischen den porträtierten Augen, Uhren und Linsen als Skeptiker des Medialen: „Every lens in use today deforms the world in its own way.“

Ganz anders begegnet der Ungar Gabor Body dem Besucher. Sein den ersten Ausstellungsteil dominierendes Werk zeigt den Regisseur, der sich 1985 das Leben nahm, als experimentierfreudigen Schöpfer audiovisueller Dichtung. Dies wird nicht nur beim Blick in die per Computer zugängliche Mediathek deutlich, sondern auch anhand einzelner Großprojektionen, wie ein „Lyric-Clip“, angelehnt an das Gedicht „Walzer“ von Novalis, zeigt.

Body sucht kontinuierlich nach der Entsprechung des Worts im Bild – dem Zeichensystem des Visuellen. In dem Kurzfilm „Der Dämon in Berlin“ (1985) lässt er seine Figuren durch die anonyme Großstadt und deren Parks wandern. Im Off werden währenddessen die Leere des Ortes und seine sich isoliert erlebenden Besucher passgenau mit Zeilen des russischen Romantikers Michail Lermontow eingefangen.

Bodys Mammutwerk „Narcisz es Psyche“ (1979/80, 261 Minuten) – eine filmisch-poetische Allegorie über die europäische Kulturgeschichte – wird ebenso gewürdigt wie sein innovatives Kunstmagazin „Infermental“, das bis 1991 auf Videokassetten publiziert wurde.

„Der Stand der Bilder“ zeigt die Arbeitsweisen von Zbigniew Rybczynski und Gabor Body, ohne die ästhetischen Grenzen zwischen den unterschiedlichen Konzepten, Ideen und Herangehensweisen der „Medienpioniere“ zu verwischen. Man fühlt sich ein bisschen erschlagen nach so viel Bildmaterial aus technischer Poesie oder poetischer Technik. Als habe man einen Raum betreten, der gleich bleibt und sich stetig ändert – je nach Perspektive. Jan Scheper

■ Bis 1. Januar; dienstags bis freitags ist der Eintritt ab 18 Uhr frei