OFF-KINO

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Heute erscheint es kaum mehr verständlich, dass Max Ophüls’ „Lola Montez“ Mitte der 1950er Jahre als großer Skandal galt. Selbiger lag jedoch nicht darin begründet, dass es in der filmischen Biografie der berüchtigten schottischen Kurtisane und Tänzerin, deren berühmteste Eroberung der bayerische König Ludwig I. war, zu viel Pikantes zu sehen gegeben hätte. Sondern im Gegenteil: Ophüls hatte die Erwartungen komplett unterlaufen und zeigt eine Lola (Martine Carol) in hochgeschlossenen Kleidern, die in einem Zirkus vorgeführt wird wie eine Wachsfigur –, und macht sich über die Erwartungshaltung des Publikums auch noch lustig: Einmal reißt sich Lola nämlich das Dekolletee auf, um König Ludwig (Adolf Wohlbrück) vorzuführen, wie gut sie gewachsen sei – doch man bekommt nichts zu sehen. Mit dem „Ratsch“ erfolgt der Schnitt, der König ruft nach Nadel und Faden und bringt in einer witzigen Szene sämtliche Lakaien und Dienerinnen seines Schlosses auf Trab, um Lolas Kleid wieder züchtig zunähen zu lassen. Doch das war es natürlich nicht allein, was für einen gewaltigen Flop und den Ruin der windigen Produktionsfirma sorgte: Die Erzählstruktur mit mehreren, nicht chronologisch verlaufenden und sich gegenseitig kommentierenden Handlungsebenen sowie ein von Ophüls selbst „impressionistisch“ genannter Ton (bedeutete: von der Geräuschkulisse nahezu übertönte Dialoge in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch) taten ein Übriges. Den Geniestreich erkannte man erst später: die Experimente mit dem Cinemasope-Format, das Ophüls ständig durch Pfeiler, Vorhänge und andere Dekorationsstücke unterteilt, um auf diese Weise Rahmen innerhalb des Bilds zu schaffen, die das Geschehen akzentuieren. Und die irrealen Zirkusszenen, in denen Lola als Objekt von Mann zu Mann geht: Ein Reiter gibt sie im fliegenden Galopp zum nächsten weiter, ein Trapezkünstler wirft sie dem nächsten in die Arme. So steigt Lola immer höher in die Zirkuskuppel hinauf, bis sie den höchsten Punkt – sinnbildlich die Affäre mit König Ludwig – erreicht. Dann erfolgt ihr Sprung ins Leere (1. 4., 20 Uhr, Arsenal 1).

Auch der Disney-Trickfilm „Bambi“ aus dem Jahr 1942 wird heute ganz anders gesehen als zur Zeit seiner Entstehung. Gedacht war „Bambi“ vor allem als Darstellung eines Jahres- und Lebenszyklus im Wald in höchster künstlerischer Ausführung: Die leuchtenden Farben und das detaillierte, in jahrelanger Handarbeit gezeichnete Licht- und Schattenspiel blieben im Zeichentrickfilm einzigartig. Insofern ist die heutige Rezeption als kitschig-melodramatischer Kinderfilm schlicht falsch. Wer das auch weiterhin glaubt, verpasst ein lyrisches Meisterwerk (27. 3.– 29. 3., Regenbogenkino).