Ortstermin
: Mümmelmänner unter sich

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Am liebsten würde Reiner Brase wieder Kaninchen züchten. Früher tat er das, aus großer Leidenschaft. Deutsche Riesen, die ganz Großen. Mehrere Kilo schwer, mit Ohren bis zu 20 Zentimeter lang. Brase musste die Zucht aufgeben: Zu oft ist er als Monteur im Kundendienst unterwegs, da blieb zu wenig Zeit für die Tiere. Jetzt stehen 53 leere Kaninchen-Käfige bei seinen Eltern auf dem Bauernhof zwischen Bremen und Bremerhaven. 53 Käfige für Deutsche Riesen – gut, dass die Eltern Platz haben. Denn irgendwann, sagt Brase, will er wieder Züchter sein.

Mittendrin in deren Welt ist er schon heute. Und die hat hierzulande ihr Stammland und die meisten Anhänger: 180.000 sind es, organisiert in 6.000 Vereinen. Und Reiner Brase ist Pressereferent beim Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter. Er führt durch die Hallen der Bremer Messe, in denen dieser Tage 28.600 Kaninchen zur Bundesschau versammelt sind. Die Käfigreihen reichen, man könnte sagen: So weit das Auge reicht. Bis heute Abend wird jedes Tier in einem grünen Körbchen zu einem der 260 weißbekittelten Preisrichter getragen und bewertet. Hat es das passende Gewicht? Ist das Fell richtig gemustert? Sind die Krallen gestutzt und die Vorderzähne makellos? Wie es sein soll, steht für jede der 396 Rassen im Standard, „unserer Bibel“, sagt Brase. Die Richter verteilen Punkte, knapp 100 ist Spitze. Heute Abend ist Schluss, danach wird ein Katalog gedruckt, dick wie der vom Otto-Versand, der ab Samstag dem Kaninchenverkauf dient. Die Zucht muss weitergehen, exzellentes Zuchtmaterial hockt in Heu und Stroh, das Brase von den Feuchtwiesen um Bremen herum hat kommen lassen. So lange die Bewertung läuft, haben die Tiere Ruhe. Ob sie ahnen, was ab Samstag zwischen den Käfigen abgehen wird? Sie sagen ja nichts, sondern mümmeln, mümmeln, mümmeln.

Es wird, nun ja, tierisch was los sein, das steht fest. Die Leute, sagt Brase, werden schon ab drei Uhr in den frühen Morgenstunden vor den Eingängen warten, weil sie die Ersten sein wollen, die zu den Kaninchen gelassen werden. 20.000 werden es in den ersten paar Stunden sein. „Diesmal haben wir Leute vom Sicherheitsdienst“, sagt Brase. Anders lasse sich der Ansturm nicht bewältigen. Es werden dann fast so viele Menschen in den Hallen sein wie Kaninchen. Die einen, je nach Zuchtziel, auf der Suche nach dem Langohrigsten, dem Fellflauschigsten, dem Kopfschönsten, dem Buntgeschecktesten. Die anderen staunend über so viel Interesse an ihnen, die die doch nur eines wollen: mümmeln. FELIX ZIMMERMANN