: Schluss mit Kino
Spott, Kritik, Hommage und Rechtfertigung. Morgen Abend ist im Pudel der letzte Film des französischen Filmemachers, Künstlers, Revolutionärs und Gründers der Situationistischen Internationalen Guy Debord zu sehen
Dass es alles andere als ein seichter Abend werden soll, macht der Filmemacher, Künstler, Autor und Revolutionär Guy Debord gleich zu Beginn seines letzten, mit dem antiken Palindrom „In girum imus nocte et consumimur igni“ („Wir irren in Kreisen durch die Nacht und werden vom Feuer verzehrt“) betitelten Filmessay deutlich: „Ich werde in diesem Film keine Konzessionen an die Öffentlichkeit machen.“ Nicht nur, weil ohnehin „bekannt“ sei, dass er niemals Zugeständnisse an dominante Ideen oder Mächte seiner Zeit gemacht habe und „nichts von Wichtigkeit jemals kommuniziert wurde, indem man mit der Öffentlichkeit behutsam umging“. Nein, diese bestimmte, total ihrer Freiheit beraubte Öffentlichkeit, die noch jede Form ihres eigenen Missbrauchs toleriert habe, verdiene es weniger als alle anderen, behutsam behandelt zu werden.
20 Minuten lang geht es dem Zuschauer, dem Publikum, dem konventionellen Kino dann an den Kragen. Diese armen Lohnarbeiter, die sich selbst als Eigentümer betrachten; diese irregeführten Ignoranten, die sich selbst für gebildet halten; diese Zombies mit ihrem Wahn, ihre Stimme zählte etwas: Nichts als Nummern auf einer von Idioten gezeichneten Karte. Das Kino: Nichts als eine gestörte Imitation eines gestörten Lebens: „Die existierenden Bilder verstärken nur die existierenden Lügen.“ Revolution ist so nicht zu machen.
Dann die überraschende Wende: „Ich werde das frivole Abenteuer, das typischerweise vom Kino nacherzählt wird, mit der Untersuchung eines wichtigen Themas ersetzen: meiner selbst.“ Und wir erfahren vom Gründer und späteren Selbstauflöser der Situationistischen Internationalen und Autor der nach den desinteressierten 80ern und 90ern gegenwärtig ihren zweiten Frühling erlebenden „Gesellschaft des Spektakels“, dass er kein Theoretiker der Revolution sei, Theorien nur gemacht würden, um in Zeiten des Krieges zu sterben. Eines Krieges, in dem Debord und seine „berüchtigten Kompanions“ unermüdlich gekämpft haben, im untergehenden Paris. „Jeder von uns trank an einem Tag mehr, als eine Gewerkschaft während eines wilden Streiks an Lügen erzählen kann.“ Parteigänger des Teufels waren sie, Abgesandte des Prinzes der Trennung: „Denn unser Ziel war nichts anderes, als eine praktische und öffentliche Trennung zwischen jenen, die immer noch die existierende Welt wollen und jenen, die sich entscheiden, sie zurückzuweisen, zu provozieren.“
Der wunderschöne Moment, wenn der Angriff auf die Ordnung der Welt sich in Bewegung setzt, „das ist es, was wir taten: Aus der Nacht entstehen, wieder einmal das Banner des ‚Good Old Cause‘ erhebend und fortwärts marschierend unter dem Kanonenfeuer der Zeit“. Der richtige Moment, die Richtung des Angriffs, dafür übernimmt Debord die Verantwortung. Aber was habt ihr Kritiker erwartet? „In girum imus nocte et consumimur igni“. Rastlos, ausweglos, Buchstabe für Buchstabe ein unausweichliches Labyrinth. Jede Avantgarde hat nur eine einzige Zeit. Das Partikulare wäscht sich ab im Kampf. Sentimentale Einwendungen sind so vergeblich wie pseudo-strategische Deutelei. Und wenn der Rauch sich lichtet, sehen viele Dinge verändert aus. „Fragt jetzt nicht, wie gut unsere Waffen waren: Sie bleiben im Rachen des herrschenden Systems der Lügen.“
Das Vergehen der Zeit. In diesem Sinne kann Debord seine „Ära“ sogar lieben: Das Ende aller Sicherheit, die Lösung von allem, was sozial gebunden war. Kein Kampf mehr zwischen Konservativismus und Wandel, sondern ein Ringen darum, welcher Wandel sei. Die Revolution kommt nicht in die Kinos.ROBERT MATTHIES
„In girum imus nocte et consumimur igni“, mit einer Einführung von Klaus Bittermann: Fr, 14. 12., 21 Uhr, Golden Pudel Club, 1. OG, St. Pauli Fischmarkt 27
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