OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Wo liegt der Fluch der modernen Zivilisation? Timothy Speed Levitch weiß es: in der geregelten Arbeit. Deshalb geht er selbiger auch lieber aus dem Weg. Im Grunde ist der New Yorker sogar obdachlos: Er übernachtet bei irgendwelchen Bekannten, und seine wenigen Besitztümer trägt er in zwei Reisetaschen herum. Doch Levitch ist kein Gestrandeter, sondern im Gegenteil ein frohsinniger Lebenskünstler, der in „seinem“ New York stets ein Auge auf die alltägliche Schönheit der Stadt wirft, an der die anderen Menschen achtlos vorüberhasten. Und irgendwie hat Levitch seine Lebenskunst dann auch noch zum Beruf gemacht: Als Stadtführer versucht er den Touristen die Vorzüge New Yorks nahezubringen. Er kennt die Anekdoten über literarische Berühmtheiten wie Dylan Thomas, ihm kommen ungewöhnliche Assoziationen zu einem Gebäude von Louis Sullivan, er weiß um die tröstende Wirkung von Brückenpfeilern. Regisseur Bennett Miller („Capote“) dokumentierte diese ungewöhnliche Beziehungsgeschichte zwischen Mann und Stadt 1998 in „The Cruise“, der im Arsenal-Kino jetzt in einer umfangreichen Filmreihe mit amerikanischen Independentfilmen zu sehen ist.

Der schönste Animationsfilm des beinahe abgelaufenen Jahres ist zweifellos die Pixar-Produktion „Ratatouille“: Mit seiner Geschichte um die Ratte Remy, die es in Paris partout zum Spitzenkoch der Haute Cuisine bringen will, hat sich der Autor und Regisseur Brad Bird endgültig als einer der kreativsten Köpfe des modernen Trickfilms etabliert. Kaum eine Komödie bot in den letzten Jahren so viele lustige und vor allem originelle Ideen, gut getimte Verfolgungsjagden und unvermutete Gags: Die Sequenzen mit dem unter einer hohen Kochmütze versteckten Remy, der den tollpatschigen Küchenjungen Linguini, dem der Nager zuvor mit einer sagenhaften Suppenkreation zu unverdientem Kochruhm verholfen hat, durch Ziehen an den Haaren wie eine Marionette in der Küche dirigiert, um den Schwindel nicht auffliegen zu lassen, sind nahezu unschlagbar. Wie schon in seinen vorangegangenen Filmen „Der Gigant aus dem All“ und „Die Unglaublichen“ gelingt es Bird zudem stets, Charaktere mit Sorgen und Nöten auf die Leinwand zu bringen, mit denen sich jeder identifizieren kann: Die scheinbare Aussichtslosigkeit von Remys Wunsch nach einem geschmackvolleren Leben, der nicht nur Konflikte mit seiner Familie heraufbeschwört, sondern schließlich auch die neue Freundschaft mit dem überforderten Linguini auf die Probe stellt, lässt einen den kleinen Underdog sofort ins Herz schließen.

Was die Produktionsleitung bei MGM bewog, die Rolle der Gigi in Vincente Minnellis gleichnamigem Musical mit der Tänzerin Leslie Caron zu besetzen, dann aber – abgesehen von einem Ringelreihen um den Tisch – keine Tanzszenen produzieren zu lassen, bleibt rätselhaft. Dafür wird viel gesungen – was Caron nicht konnte und deshalb ein Gesangsdouble benötigte. Trotzdem ist „Gigi“ eines der letzten klassischen Musicals und wurde 1958 ganz zu Recht mehrfach oscarprämiert. LARS PENNING

„The Cruise“ (OmU) 18. 12. im Arsenal 1

„Ratatouille“ 13. 12.–19. 12. im Alhambra, Cineplex Spandau, Kino in der Kulturbrauerei, Rollberg 5, Sputnik Südstern, Titania Palast; 13. 12.–18. 12. im Broadway D; 14. 12.–19. 12. im Kino Kiste; 15. 12.–16. 12. im Cosima, Thalia

„Gigi“ 16. 12. im Filmmuseum Potsdam