MIT SYRISCHEN SPRACHSCHÜLERN VOR DÄNISCHEN APOSTELN
: Wahrhaftig auferstanden

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Völlig klar ist mir nicht, warum an diesem Integrationstag die Vor Frue Kirke (Kirche unserer Jungfrau) in Vordingborg besucht werden soll: vielleicht, weil das Mittelaltercenter schon abgeklappert, die Kreidefelsen schon beklettert und der Apfelsaft in der Behindertenintegrationsmosterei schon getrunken ist. Seit ein paar Tagen zuvor googlen die Klassen unserer Sprachschule auf der Staatsbürgerinternetseite „dansk Folkekirke“, finden Bilder von weißen Backsteingebäuden und schauen in Kurzfilmchen Wikingern dabei zu, wie sie ihre Religion vor dem Christentum ausüben.

„Warum soll man Muslime in eine Kirche führen, ich finde das unpassend“, sagt meine ukrainische Freundin und nimmt sich an diesem Tag frei, sie will lieber Geld verdienen, ihre Arbeit ist unregelmäßig und sie nimmt alles, was sie kriegen kann.

„Ich finde das sehr lobenswert“, sage ich und trotte tags darauf neben vielen syrischen Männern aus unserer Sprachschule die Haupteinkaufsstraße Vordingborgs entlang, bis ich durch das Kirchentor in die ehemals katholische Kirche trete. Hier bin ich noch nie gewesen. Hier sind die bestimmt noch nie gewesen, ich sehe den Männern zu, wie sie sich ins Kirchenschiff stellen, ihre Handys ihren Freunden geben, um dann breitbeinig in die Kamera zu lachen.

Ob sie ihre Google-Ergebnisse – mager und in einer fremden Sprache – wohl mit diesem Gebäude in Zusammenhang bringen können? Mit diesem Gebäude, in dem ich sehr wohl schon mal war, bloß war ich durch den Eingang vom Schlossgraben gekommen und nicht durch den Vordereingang, und hatte dies orientierungsmäßig nicht vereinen können. Damals waren mir die geschnitzten Figuren am Altar aufgefallen. Markus, Lukas, Johannes und Matthäus. Aber mich kann man nicht hinters Licht führen. Das waren doch sicherlich Aksel, Børge, Svend Åge und Jeppe und entweder hatten sie den Künstler dafür bezahlt, dass er sie verewige, oder er orientierte sich an seinen Freunden, um diesen orientalischen Weggefährten ein Aussehen zu verleihen.

Ein flüchtiger Blick reicht, genauso sehen die Bauern auf meiner Insel heut noch aus: knubblige Nasen, zu hohe oder zu niedrige Stirnen, Glupschaugen, dünne Lippen; und Maria, das war sicherlich des Landgrafen Tochter: eine listige Dame, mit hoher, rasierter Stirn und goldenem Haar.

Die syrische Männergruppe hat sich durchs Schiff zum Altar vorgearbeitet: „Guck doch, Wael, das sind lauter Dänen auf dem Altar, bloß von vor 400 Jahren, die wussten halt nicht, wie man so aussah im Nahen Osten.“ Wael lacht höflich, so wie er es immer tut, er ist Ärztesohn und sehr elegant. Seine Freunde rotten sich vor dem Altar zusammen, einer macht das Victoryzeichen, die Handys blitzen.

Da stehen sie. 400 Jahre später, Nachbarn von Jesu Geburtsstätte, mir kommen die Tränen. Man müsste natürlich im Foto ihre siegessicheren Gesichter ins Altarholz kopieren und Aksel, Børge, Svend Åge und Jeppe hier, an ihrer statt, vor den Altar stellen, da wär überhaupt mal ein Däne in der Kirche und die Arbeit des Schnitzkünstlers vollendet.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; von ihr erschien bei Michason & May „Hamburg Walking“, ein Sammelband mit Hamburger Szenen aus der taz