Kurzkritik: „Der Kirschgarten“, Kampnagel
: Lückenhafte Bekleidung

Schlabber-Feinripp mit Eingriff – um diese Unterhose ist Leonid nicht zu beneiden. Aber es hilft nichts, er muss sie tragen, den ganzen Abend lang. Denn Leonid ist pleite, ebenso wie seine Schwester und seine Nichten. Getroffen haben sie sich auf ihrem Gut, wo früher Leibeigene den Kirschgarten pflegten. Jetzt aber ist kein Geld mehr da, um das Gut zu halten – der Verkauf droht und steht für das Ende einer Gesellschaftsordnung.

Regisseurin Angela Richter lässt die Figuren in ihrer Version von Tschechows „Kirschgarten“ auf Kampnagel in Unterwäsche auftreten – die Assoziation vom letzten Hemd, um das es geht, liegt auf der Hand. Über die Bühne ist ein Dickicht aus Schnüren gespannt, in denen unkoordiniert Hirschgeweihe und Rotwild-Torsi hängen: Die Insignien ländlicher Herrschaftlichkeit hat der Wandel der Zeit durcheinander geblasen.

Das Bühnenbild bringt die Situation auf den Punkt – so wie die lückenhafte Bekleidung im herrschaftlichen Weiß, die all die bankrotten Herrschaften tragen. Weniger präzise ist da schon das Spiel der Schauspieler: Das dezidiert handlungsunfähige Lamentieren, Debattieren und Selbstbespiegeln von Tschechows Figuren wird immer wieder gebrochen: Als glaubten sich diese Leute ihr Jammern selbst nicht mehr – um dann doch ganz aufrichtig an ihrer Situation zu leiden. Ein wirklicher Eingriff ist diese Inszenierung damit nicht – aber auch kein echter Ausfall.KLAUS IRLER

weitere Aufführungen 14.–16. + 20.–22. 12., 19.30 Uhr, Kampnagel