Renitente Mieter

Hamburgs ältestes Wohnprojekt wird mal wieder mit Kündigungen bedroht. Doch ein besonderer Mietvertrag erstickt jedes Spekulantentum

VON MARCO CARINI

„Wir haben damals gute Verträge geschlossen“, klopft sich Bernd Vetter auf die Schulter. Der Anwalt, spezialisiert auf Mietrecht, plädiert im Hamburger Ziviljustizgebäude an diesem 13. Dezember in eigener Sache. Und das nicht zum ersten Mal. Es geht um die Zukunft von Hamburgs ältestem Wohnprojekt: dem Eckhaus Haynstraße 1–3 Ecke Hegestraße 41 im schnieken Stadtteil Eppendorf, in dem auch Vetter wohnt.

Bereits zum elften Mal innerhalb von mehr als 30 Jahren versuchen die Eigentümer des 1912 erbauten Jugendstilhauses, in dem 24 Wohnungen untergebracht sind, die Bewohner des Altbaus aus demselben zu klagen. Zehnmal sind sie bereits gescheitert. Und auch diesmal sieht es in erster Instanz nicht gut für sie aus.

Schuld daran ist ein schlichter Vertrag zwischen der Mietergemeinschaft und einer Schweizer Immobilienfirma – acht Seiten lang, auf denen 23 Paragraphen untergebracht sind. Ersonnen hat ihn 1975 der Jurastudent Bernd Vetter. Sein Gesellenstück geriet zum Meisterwerk. Es bestimmt, dass die Mieter selbst entscheiden dürfen, wer in das zweiflüglige Haus zieht und ihnen allen nur gemeinsam gekündigt werden kann. Klauseln, an denen alle Kündigungen und Räumungsklagen der vergangenen Jahre abprallten.

Inzwischen hat die Schweizer Immobilienfirma elf Wohnungen an Privatpersonen verkauft, die nun versuchen, wohnungsweise Eigenbedarf anzumelden. Auch einige der ehemaligen Mieter, unter ihnen Vetter, haben ihre Behausungen gekauft. So besitzen sie auch in der Eigentümerversammlung die Mehrheit gegenüber den Wohnungseignern, die hier nicht wohnen.

Amtsrichter Schlichte, der den Gütetermin des aktuellen Klageverfahrens leitet, hat sich „gar nicht erst die Mühe gemacht, einen Vergleichsvorschlag zu entwickeln“. Er weiß, dass sein Urteil, dass er am 13. März verkünden will, nur „eine Durchgangsstation“ sein wird. Wer immer auch verliert – Berufungen und Revisionen vor höheren Instanzen werden folgen. Die Eigentümer haben bereits angekündigt, notfalls bis vor den Bundesgerichtshof zu ziehen.

Zum Auftakt der Verhandlung gibt Schlichte seine Einschätzung der juristischen Lage. Bernd Vetter gefriert das Blut in den Adern, als der junge Jurist den Klägern in vielen zwischen den Parteien umstrittenen Fragen Recht gibt. Doch die Pointe spart sich der Jurist bis zum Schluss auf, als er zum Kern der Sache kommt: „Wir haben hier ein einheitliches Mietverhältnis für das ganze Haus“, sagt er. „Teilkündigungen sind nicht möglich.“

Rechtsanwältin Christine Leyba, die die Kläger vertritt, muss bei diesem Satz heftig schlucken. „Es wird nie passieren, dass alle Eigentümer gleichzeitig einen begründeten Eigenbedarf einklagen können.“ Sei die Kündigung einzelner Wohnungen nicht möglich, würden die Eigentümer deshalb „dauerhaft von der Nutzung ihres Eigentums ausgeschlossen“. Bernd Vetter lächelt. Die Kollegin hat ja recht. Genau das besagt der Mietvertrag. Er hat ihn ja schließlich selbst entworfen.

Für Leyba ist das Vertragskonstrukt mit dem grundgesetzlichen Schutz des Eigentums „unvereinbar“. Diese Frage wird sie, wenn die nächsten beiden Instanzen Urteile gesprochen haben, zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde machen.

Vetter sieht das gelassen. Diese Runde haben er und die rund 50 Bewohner des Hauses gewonnen. Wieder einmal. In seiner Kanzlei stapeln sich mehr als 100 Ordner mit den Klageschriften, Erwiderungen und Urteilen der bisherigen Verfahren. Eine Chronik der Siege. Nun kommt ein weiterer Ordner hinzu.

Dass die renitenten Mieter aus der Haynstraße irgendwann einmal aussterben – darauf können die Besitzer nicht hoffen. Mittlerweile wird in dem selbst verwalteten Wohnprojekt bereits in dritter Generation gewohnt. Und stolz berichten die Großeltern ihren Enkeln, wie der Eppendorfer Häuserkampf einst begann.