Heimat Bleibtreustraße

In diesem Jahr wäre Mascha Kaléko 100 Jahre alt geworden. Sie ist eine der meistgelesenen deutschsprachigen Dichterinnen des letzten Jahrhunderts und fast vergessen. Zu Unrecht. Eine Ausstellung im Literaturhaus dokumentiert ihre Berliner Jahre

VON ANDREAS RESCH

Obwohl sie eine der populärsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gewesen ist, schweigen sich viele Literaturlexika beharrlich über Mascha Kaléko aus. Dass auch an Universitäten nur selten Seminare über die 1907 im westgalizischen Chrzanów geborene Autorin angeboten werden, hängt möglicherweise damit zusammen, dass ihre seit den späten Zwanzigern in der Vossischen Zeitung oder dem Berliner Tageblatt abgedruckten, später in Gedichtbänden wie dem „Lyrischen Stenogrammheft“ erschienenen Texte gemeinhin unter dem Label Gebrauchslyrik geführt wurden. Was eben auch impliziert, dass es sich bei Mascha Kalékos Poesie eben nicht um die ganz große Kunst handelte.

Doch ein solch pauschales Urteil macht es sich zu einfach. Denn obwohl Kalékos Lyrik metrisch und vom Reimschema her simple, volksliedhafte Strukturen aufweist, besteht ihre große Kunst eben darin, aus dieser formalen Selbstbeschränkung eine bemerkenswerte Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten hervorgebracht zu haben.

Anlässlich ihres 100. Geburtstags zeigt das Literaturhaus in der Fasanenstraße unter dem Titel „Mascha Kaléko – Mein Heimweh hieß Savignyplatz“ eine von der Kaléko-Biografin Jutta Rosenkranz konzipierte Ausstellung, die wichtige Stationen im bewegten Leben der 1975 in Zürich verstorbenen Dichterin dokumentiert. Den Schwerpunkt bildet Kalékos Zeit in Berlin, während die Jahre der Emigration in New York und Jerusalem weitgehend ausgespart werden.

Leerstelle Emigration

Kindheitsfotos zeigen ein dunkelhaariges, ernsthaftes Mädchen mit Schleife im Haar. In einem an Mascha adressierten Brief der Mutter ist zu lesen: „Du warst ein schwer erziehbares Kind“. Man erfährt von ersten Schreibversuchen und arbeitet sich langsam bis zur unbeschwerten Zeit im „Romanischen Café“ vor, die allerdings nicht lange andauern wird. Denn in einem Brief des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer an den Verleger Ernst Rowohlt vom 9. 1. 1937 wird dieser aufgefordert, das „Lyrische Stenogrammheft“ nicht mehr zu drucken. Ein Jahr später emigriert die Dichterin mit ihrem zweiten Mann, dem Musiker Chemjo Vinaver, und ihrem gemeinsamen Sohn Evjatar nach New York.

Viel Platz wird in der Ausstellung der Rückkehr nach Berlin zwischen 1956 und 1959 eingeräumt. Einen Schwerpunkt bildet dabei Kalékos Kontroverse mit dem Rowohlt-Lektor Wolfgang Weyrauch, der vielen ihrer Gedichte mangelnde Originalität vorwirft. Die Autorin hält dagegen: „Nun aber lassen Sie uns die Klingen kreuzen“, um im Folgenden einen Abriss ihrer dichterischen Positionen ins Feld zu führen. Abgerundet werden diese Eindrücke von Briefwechseln, etwa mit Benn und Heidegger – beide nicht nur ehemalige NS-Sympathisanten, sondern auch Kaléko-Bewunderer –, sowie von Tonbandaufnahmen, die belegen, mit welchem Nuancenreichtum Mascha Kaléko ihre Gedichte vorgetragen hat.

Dass das alles mehr ist als nur eine bloße Aneinanderreihung von Einzeleindrücken, liegt vor allem daran, dass Jutta Rosenkranz viele Exponate zueinander in Beziehung gesetzt hat. So hängt neben einem Liebesgedicht Maschas an ihren Mann eine Komposition Chemjos, deren Libretto aus einem einzigen, sich ständig wiederholenden Satz besteht: „Ich liebe Dich.“ Auf diese Weise wird auch etwas über das Wesen dieser nicht ganz unkomplizierten Künstlerbeziehung ausgesagt, in der es vor allem Chemjo leichter fiel, seiner Liebe durch Musik Ausdruck zu verleihen als durch gesprochene Worte oder Alltagsgesten.

Dichtung als Januskript

Wichtige biografische Dokumente stellen Mascha Kalékos Gedichte selbst dar, von denen zahlreiche auf überdimensionalen Säulen abgedruckt sind. Die frühen, humorvoll-gesellschaftskritischen Gedichte folgen jener Poetik, die sie in „Quasi ein Januskript“ festgehalten hat: „Wie Janus zeigt zuweilen mein Gedicht / Seines Verfassers doppeltes Gesicht: / Die eine Hälfte des Gesichts ist lyrisch, / Die andere hingegen fast satirisch“. Nach der Emigration wird der Ton ernster, ist mitunter von einer tiefen Melancholie geprägt.

Aufgrund der unmittelbaren Nähe des Literaturhauses zu den Orten, an denen Mascha Kaléko gelebt und geschrieben hat, kann man seine Erkundungen später, mit dem Nachklang ihrer Gedichte im Ohr, auf eigene Faust fortsetzen. Etwa in die Bleibtreustraße, in der sie zwischen 1936 und 1938 gewohnt und der sie sich zeitlebens verbunden gefühlt hat. Ihr Gedicht „Bleibtreu heißt die Straße“ legt darüber Zeugnis ab: „Was willst du von mir, Bleibtreu? / Ich, ich weiß. Nein, ich vergaß nichts.“

Mascha Kaléko: „Mein Heimweh hieß Savignyplatz“. Bis zum 20. Januar im Literaturhaus, Fasanenstraße 23. Di.–So. 11 bis 19 Uhr