Abschied von der Politik

ZEITGEIST-MOVEMENT Die Hamburger Anhänger der US-amerikanischen Bewegung treffen sich in einer Kneipe und planen die Rettung der Menschheit. Politik gilt bei ihnen als Auslaufmodell, Wissen ist alles

Gerade einmal elf Leute sitzen zusammen, darunter Schüler, Informatiker und BWLer

In Hamburg treffen sich die Anhänger des Zeitgeist-Movement in einer Kneipe im Karolinenviertel. „Nicht um links oder rechts geht es, sondern um richtig oder falsch“, sagt ein Teilnehmer. Die Runde ist überschaubar: Gerade einmal elf Leute sitzen zusammen, darunter einige wenige Schüler, Informatiker und BWLer. Die einzige weibliche Person kommt aus der Werbebranche.

Das Zeitgeist-Movement ist bekannt geworden, seit seine Aktivisten die Occupy-Bewegung als Plattform benutzten. Die selbst erklärte Graswurzelbewegung setzt auf ressourcenbasierte Wirtschaft, wissenschaftlichen Fortschritt und die Abschaffung des Geldes. Bei der Occupy-Bewegung war sie nicht gern gesehen – in Frankfurt durften sie in der Zeltstadt nicht auftreten, von „Unterwanderung“ war die Rede.

Bekennerisch ziert ein Banner des Zeitgeist-Movement die Terrasse des Hamburger Lokals. Drinnen steht ein Laptop auf einem Tisch, auf die Wand dahinter ist die Tagesordnung projiziert: internationale, nationale und Hamburger Chapterberichte, eine Diskussion darüber, wie man Interviews führen will, aktuelle Projekte und ein Tischkickerturnier.

Dann wird die Internetseite von Zeitgeist-Movement Deutschland an die Wand geworfen: ein Statement zu Occupy Wall Street. Strategische Überlegungen über das weitere Vorgehen stehen an. Nachdem sich gerade alle von Zeitgeist distanzieren, sei der Zeitpunkt schlecht, einen Workshop zu machen, heißt es. Dafür soll Printmaterial unter die Leute gebracht werden. Aber wer soll das zahlen und wie hält man es mit den Spenden, wenn man doch das Geldsystem ablehnt?

„Es ist nicht in unserem Sinne, dass jemand mit einer Geldspende einfach die Verantwortung an uns abgibt“, sagt einer. „Spenden sind okay“, findet dagegen die Frau, denn man sei ja noch nicht so weit, dass man ohne Geld leben könne. Nach einem Abgleich mit der Zeitgeist-Satzung verständigen sich die Anwesenden auf einen Konsens: Projektbasierte Spenden gehen in Ordnung.

Dass es sich beim Zeitgeist-Movement um ein bemerkenswertes Phänomen handelt, zeigt sich nicht nur daran, dass Atomkraftgegner und Befürworter an einem Tisch sitzen. Das sei kein Problem, betont der junge Atomkraftgegner, denn man arbeite ja auf das gleiche Ziel hin: Irgendwann, wenn alle verstanden haben, sollen die Ressourcen der Erde als gemeinschaftliches Erbe der Menschheit begriffen werden.

Die Entstehung der Bewegung hat mit der Finanzkrise von 2008 zu tun. Peter Joseph, ein US-amerikanischer Musiker und Filmemacher und eine Art Guru des Zeitgeist-Movement, erklärte in seinen Filmen im Internet einem Millionenpublikum das Übel des Kredit- und Geldsystems und bot eine schlichte Lösung: Wir sind eins, nämlich Atome, und die wahren Probleme sind technisch, nicht politisch.

Sogar die neu dazugestoßenen Zeitgeist-Interessierten sind erstaunlich gut vorbereitet zum Treffen gekommen. Sie wissen, was Joseph zu sagen hat. Zeitgeist sei das intellektuelle, kulturelle und moralische Klima einer Ära, sagt ein Schüler. „Er ist der vorherrschende Konsens einer Gesellschaft“, sagt er. „Die Masse der Menschen denkt eigentlich so.“

Eigentlich ist es ganz einfach, findet einer der Anwesenden. Alle Menschen sollen sauberes Wasser und etwas zu essen haben, das sei doch zweifellos richtig. Die Utopie sei, dass alle mitmachen. Und Politik? Die sei eine überholte Form der Planung. „Wir arbeiten darauf hin, Politik abzuschaffen.“  LENA KAISER