„Ihr habt doch ’nen Dachschaden“

TEXTIL Früher war Sina Trinkwalder Werberin und Unternehmensberaterin und warf im Auftrag anderer Leute raus. Heute ist sie ökosoziale Unternehmerin und stellt Leute ein. Was ist nur mit den Werbern los?

■ Die Person: Sina Trinkwalder, 33, ist die Gründerin der ökosozialen Kleidermanufaktur manomama in Augsburg.

■ Das Unternehmen: manomama produziert Kleidung aus ökologischen, weitgehend regionalen Stoffkreisläufen und beschäftigt auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen – derzeit 12. Trinkwalder erhielt den Preis des Rates für nachhaltige Entwicklung 2011. Ihr Manifest gegen Greenwashing: www.taz.de/greenwashing.

■ Die Zukunft: Geplant ist ein neues Textilprojekt mit großem Kooperationspartner, das zusätzlich 40 Arbeitsplätze schaffen soll. Die Produktionshallen wurden gerade gefunden.

INTERVIEW PETER UNFRIED

sonntaz: Frau Trinkwalder, warum haben Sie denn die Werbebranche verlassen? Das sind doch Topjobs da.

Sina Trinkwalder: Selbstverständlich gibt es da genug zu verdienen. Wenn man gut ist.

Aber?

Es wurde mein Job, Menschen herauszustrukturieren.

Also rauszuschmeißen.

Klar. Du hast am Vormittag darüber gesprochen, wie du ein neues Produkt in den Vertrieb reindekliniert kriegst, wie wir das nannten. Und am Nachmittag hattest du ein Vertriebsmeeting, wo es hieß: Wir müssen 200 Leute herausstrukturieren. Das packst du auf Dauer nicht. Weil du den Sinn darin einfach nicht siehst. Es war blinde Verschlankung.

Wann haben Sie aufgehört?

An einem Tag sollten wir ganz viele Leute rausstrukturieren. Gleichzeitig wurde eine Party für das obere Management geplant mit Champagner und großem Popstar.

Und?

Ich sagte: Ihr habt doch ’nen Dachschaden. Ich gehe jetzt.

Warum sind Sie überhaupt Werberin geworden?

Ich habe mit 13 angefangen, Artikel für die Zeitung zu schreiben, habe Comics gezeichnet und fotografiert. Mit 15 bin ich von zu Hause ausgezogen und habe mich mit Journalismus komplett über Wasser gehalten, neben meinem Abitur. Ich wollte nie einen Chef haben. Darum habe ich meine eigene Agentur eröffnet.

In Interviews sagen Sie Sätze wie: Ich bin ein unverbesserlicher Weltverbesserer. Das klingt wie ein mittelmäßiger Werbeclaim.

Ich meine das ernst. Mein Mann sagt, ich bin wie der FC Bayern. Fünfzig Prozent lieben, fünfzig Prozent hassen mich. Das Schwammige ist nicht meins. Es gibt für mich auch keinen Mittelweg.

Sie werden doch auch Kompromisse machen.

Nö.

Wenn’s der guten Sache dient?

Natürlich könnte ich sagen, ich nehme einen billigen indischen Biobaumwollstoff, der mich ein Fünftel der türkischen Biobaumwolle kostet, mit der wir in Augsburg produzieren. Um den Preis niedriger kalkulieren zu können und dadurch mehr zu verkaufen.

Warum tun Sie es nicht?

Der indische Bauer hat eine kleine Bioparzelle neben den anderen Parzellen, die mit Pestiziden besprüht werden. Erstens trägt der Wind das sowieso rüber, zweitens wird es am Ende zusammengesammelt, gewaschen und anteilig wieder verteilt. Indische Biobaumwolle taugt nichts, so was will ich nicht.

Manche Leute denken plötzlich in größeren Zeiträumen, wenn sie Kinder haben. Tun Sie das auch seit Sie Mutter sind?

Eindeutig. Ich habe in der Agentur mit 20 angefangen, Menschen auszubilden, da übernimmst du schon Verantwortung. Aber es ist noch mal was anderes, wenn du ein eigenes Kind kriegst. Da flasht es dich, da denkst du: Scheiße, was mach ich jetzt, und dann stellst du die Dinge, die du tust, auf den Prüfstand, weil du dir plötzlich die nächsten fünfzig Jahre anschaust. Und ich möchte nicht, dass mein Sohn in dreißig, vierzig Jahren sagt: Mama, was hast du gemacht?

Nämlich was genau?

Das, was ich meinen Eltern vorwerfen könnte, die sind jetzt Mitte fünfzig: Alles billig, alles Plastik, da wird nix mehr repariert, da wird alles weggeworfen. Aber so sind sie aufgewachsen. Ich denke nicht, dass wir, was den Klimawandel angeht, noch die Kurve kriegen können. Aber wir können die Handbremse ziehen. Damit unsere Kinder bestimmte Dinge noch erleben können.

Sie haben Politik und BWL studiert und behaupten, es habe nix gebracht.

Ich hab’s erfolgreich abgebrochen. Einer meiner Professoren sagte damals zu mir: Sie und Wirtschaft, das wird nichts mehr in diesem Leben. Gerade habe ich auf Einladung des Geschäftsführers vom Club of Rome an der Uni Augsburg über soziale Marktwirtschaft referiert. An dem Ort, an dem man mir wirtschaftliche Talentfreiheit attestierte.

Sie lachen, aber was war damals das Problem?

Unternehmertum wird jungen Menschen abtrainiert. Das Studium war wie bei Bonduelle: Nur Erbsen zählen. Ich habe noch nie einen Businessplan gemacht. Brauchte ich nicht: Wir haben in 14 Jahren mit unserer Agentur keinen Kredit aufgenommen, weil wir immer aus dem Haben heraus finanzieren. Bei manomama machen wir es genauso.

Wie geht das?

Klein anfangen. Viel arbeiten. Dann kommt Geld rein. Dann holt man den ersten Mitarbeiter. Dann arbeitet man noch mehr. Dann kommt der zweite Mitarbeiter. Und so weiter. Aber wir haben keinen Springbrunnen im Eingang. Wozu auch?

Wie funktioniert das mit den Manomamas?

Über fünfzig Frauen und sogar Männer repräsentieren manomama. Bundesweit besuchen diese Frauen und Männer interessierte Kunden zu Hause, sie zeigen ihnen Stoffe, Muster und nehmen Maß. Und wann immer der Kunde dann im Internet bestellt, bekommen die Manomamas ihren Anteil.

Der Name der Näherin steht auf dem Etikett. Das erinnert an die glückliche Biokuh, die mir Milch gibt und die ich auch persönlich kenne.

Ich verbitte mir diesen Vergleich. Das ist ein Zeichen der Wertschätzung und ein Aufheben der Anonymität. Man hatte früher auch für seine Schuhe eine andere Wertschätzung, weil man wusste, wer sie repariert hat. Und pflegte sie respektvoller.

Sie haben mal behauptet, wenn Sie morgens zur Arbeit kommen, finden Sie glücklich singende Näherinnen vor. Pilcher-Momente in Augsburg?

Ach, die sind einfach gut drauf, weil sie wieder in dem Beruf arbeiten können, den sie einst aus Leidenschaft ergriffen haben. Wir arbeiten von 8 bis 16 Uhr, aber alle kommen schon um halb acht zum Kaffeetrinken.

Seufz.

Es ist aber so. Meine Mitarbeiter sind einfach toll.

Wenn eine Modekette jetzt auch eine Ökocollection hat: Fortschritt oder Greenwashing?

Greenwashing.

Hat gar nichts Gutes?

Nein. Es fängt schon an, wenn die Biobaumwolle nur ein Bio-Cotton-Mix ist, also zu fünfzig Prozent konventionell. Dann ist es meist nicht biogefärbt. Und letztendlich muss sowieso alles, was nicht regional produziert ist, mit Chemikalien behandelt werden, damit es einem auf dem Schiffsweg nicht unter dem Arsch wegschimmelt. Nein: Entweder richtig oder gar nicht. Ein Biobaumwoll-T-Shirt bei H & M kostet sieben Euro. Das kann nicht richtig sein.

Was kostet es bei Ihnen?

Zwanzig Euro. Sieben Euro kostet allein schon richtige Biorohware, regional produziert.

Das Kleidungsunternehmen kik wirbt mit dem Slogan: Lieber echte Karriere als falsche Ideale. Sie haben den Spruch abgewandelt auf eines Ihrer T-Shirts gedruckt.

Mit der Aufschrift: Lieber echte Ideale als falsche Karriere. Dieses Unternehmen hat das Problem ja nicht nur in den entfernten Produktionsstätten, sondern auch in Deutschland geht man mit den Mitarbeitern schlecht um. Hier in Augsburg haben wir das Problem, dass wir den FC Augsburg lieben …

dessen Finanzier Walther Seinsch mal kik und takko gehörte.

Womit der Aufstieg des FCA in die Bundesliga quasi auf Ausbeutung beruht. Als mein Sohn in der G-Jugend mit dem Fußball anfing, gab es kik-Trikots. Ich sagte: Du ziehst sofort das Ding aus. Und die anderen zehn Jungs auch. Und dann kriegen die manomama-Shirts. Ich möchte nicht, dass sie Klamotten von Kindern für Kinder tragen.

Und haben Sie das durchgesetzt?

Natürlich. Ist doch kein Ding. Leider hat mein Filius das Fußballspielen wieder aufgegeben.

Selbst manche Politiker sagen: Ökosozial ist ja schön und gut, aber nur was für Besserverdiener.

Falsch. Ökosoziale Produkte müssen nicht teurer sein, wenn sie eine bestimmte Marktdurchdringung haben. Zweiter Punkt ist die Regionalität: Es macht keinen Sinn, die Produkte um den Globus zu jagen, weil wir die Sache mit der Kaufkraft nicht auf die Reihe kriegen. Ich muss Menschen hier in den Job bringen und sie anständig bezahlen, dann habe ich auch die nötige Kaufkraft.

Da das aber nicht der Fall ist, braucht es kik?

Moment: Wer sich Jeans für drei Euro kauft, weil er sich nichts anderes leisten kann, verlagert letztlich willentlich oder unwillentlich die Ausbeutung weiter. Die, die schreien: Mein Chef behandelt mich schlecht, nehmen das als Rechtfertigung, um andere Menschen schlecht zu behandeln. Tenor: Aber die sind ja weit weg. Da interessiert es mich doch nicht.

Die entscheidendere Frage ist doch: Warum kaufen wir, die Geld und Moralansprüche haben, Kleidung, die auf Kosten anderer produziert wird?

Die, die das Geld haben, konsumieren nach Status. Die haben nicht die Kultur des Understatement, also das Wissen: Ich bin schon jemand. Die denken: Ich muss konsumieren, um etwas oder jemanden darzustellen. Wenn du handgefertigte, langlebige Schuhe trägst, dann sieht das keiner, weil keine Marke draufsteht. In Deutschland musst du Gucci, Armani, Prada, Kruscht und Glumb haben. Darüber freut sich der Werber, das macht es so einfach, den Deutschen alles mögliche anzudrehen.

Fehlenden Charakter durch Markenkonsum kompensieren zu wollen ist also typisch deutsch?

Wissen Sie, was typisch deutsch ist? Fehlende Solidarität. Wir haben neulich unser Arbeitsmodell präsentiert und dann fingen die Leute an: Wieso kriegen Ihre Näher zwölf Euro? Ich bin ausgebildeter Optiker und kriege nur acht Euro. Ich sagte: Tut mir leid, aber irgendjemand muss mal anfangen, vernünftige Löhne zu zahlen. Mir kann kein Unternehmer erzählen, dass er nicht mindestens neun Euro in der Stunde bezahlen kann. Das sind bei vierzig Stunden 1.500 Euro brutto. Lächerlich.

Sie selbst haben einen riesigen Wettbewerbsnachteil, wenn Sie nicht auf Kosten von Menschen und Umwelt produzieren. Ihre Ware ist teurer.

Ich habe keinen Wettbewerbsnachteil, weil ich ihn wieder wett mache.

Wie denn?

Ein klassisches Textilprodukt ist so kalkuliert, dass 75 Prozent vom Preis Marketingausgaben sind. Ihre Markenjeans kostet in der Herstellung fünf Euro. Sie zahlen dafür aber mindestens 150 Euro.

Bei Ihnen zahle ich 140 Euro.

Ja, und Sie geben achtzig Euro zurück in den Kreislauf. Bei uns bezahlen Sie nicht die Werbung, sondern die Herstellung und die Menschen, das ist der Unterschied.

Warum vertreiben Sie direkt?

Im Einzelhandel hat man noch mal 300 Prozent Marge, weil man das Gesamtpaket bestellen muss. Man muss also auch die Größen reinkalkulieren, die nicht gehen. Und man muss den Rabatt einkalkulieren, denn der Kunde kauft ja nicht zum Normalpreis. Das ist nur eine Blase. Das hat mit den reellen Produktionskosten nichts zu tun. Das haben wir alles nicht.

In Ihrem in der taz erschienenen Manifest gegen Greenwashing sagen Sie, dass viele Leute nur das Gefühl haben wollen, sie würden gegen Klimawandel und für ein anderes Wirtschaften aktiv. Wozu sollten wir uns denn selbst belügen?

Es ist bequem. Mein Mitautor des Manifests, der Trendforscher Eike Wenzel, hat ja als Erster die neogrünen Lohas in Deutschland beschrieben. Er erwartete einen ernsthaft veränderten Lebensstil. Stattdessen hat sich aber eine hippe, selbstdarstellerische Avantgarde entwickelt, die so ein bisschen die Welt retten will. Gern auch mit Meditieren. Damit tust du dir selbst etwas Gutes und das ist auch legitim, aber es ändert die Welt eben nicht.

Was ändert die Welt?

Es ändert nicht die Welt, wenn ich in einem Unternehmen neuerdings eine Stunde meditiere und danach ist alles wie vorher. Es ändert die Welt, wenn ich in einem Unternehmen die Rahmenbedingungen ändere. Das ist fundamental.

Stattdessen haben neue Unternehmen das grüne Anpinseln als Markt besetzt?

Ja, das ist so. Viele Werber in der 2.0-Ökosinnkiste wollen Geld verdienen. Sie sagen den Unternehmen: Also, ändern musst du nix, spar dir die Kohle, gib sie lieber mir, ich verkauf’s dir geil. Das ökosoziale Deckmäntelchen ist die größte Lüge unserer Zeit.

Ich bitte Sie.

Doch. Ich bleibe dabei. Vor allem müssen die Leute verstehen, dass es nicht nur um das Austauschen von Produkten geht, sondern um die Bedingungen der Produktion weltweit. Also auch um die ferne Umweltzerstörung, das globale Sozialdumping und die strukturelle Ausbeutung.

Sie sagen auch, für ökosozialen Fortschritt müsse man seinen Heiligenschein aufgeben. Was heißt das?

Nehmen Sie die Anti-AKW-Bewegung: Es geht halt nun mal nicht ohne Strom. Wer Atomstrom nicht akzeptiert, der kann nicht auch gegen dicke Stromleitungen oder Windräder in der Nähe seines Grundstücks sein. Je länger wir zögern mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, desto mehr Wohlstand werden wir verlieren. Also müssen wir sagen: Okay, wir machen das. Vielleicht brauchen wir einfach mal eine Gruppe, die sagt: Bumms und aus und so machen wir das jetzt.

Um Gottes Willen, eine Ökodiktatur?

Viele haben nicht den Blick dafür, was wir gerade aufs Spiel setzen und was kaputtgehen kann. Die haben bloß das Windrad auf dem Schirm, das sie stört.

Braucht es mehr individuelle Radikalität?

Tja. Kennen Sie den Witz: Wie erkennt man auf einer Party einen Veganer?

Weiß nicht.

Gar nicht. Aber er erzählt es jedem.

Heißt?

Das sind Leute, die nicht positiv wahrgenommen werden. Die aus selbstdarstellerischen Motiven aus der Rolle fallen. Hardcore-Gutmenschen ändern nicht die Welt. Sondern nur sich. Du musst die anderen aber mitnehmen.

Und wie wollen Sie etwas verändern?

Zu mir sagte ein Konzernschef unlängst: Sie sind der Reißnagel im Arsch meines Konzerns. Das fand ich gut. In dem Moment, in dem es diese kleinen Reißnägel gibt, bewegen sich die Großen auch. Das sieht man auch in der Politik an den Piraten.

Warum sollten Sie die Konzerne schmerzen?

Weil wir Transparenz bieten und der Kunde dadurch beginnt nachzudenken, warum wir es können und andere nicht.

Sie haben die Marke manomama mittels Blog, Twitter und Facebook aufgebaut.

Ja. Ich hab’ kein Geld für Werbung. Ein klassischer Werber würde sagen: Das ist kein Markenaufbau, da hat die Alte einfach angefangen zu twittern.

Sie selbst sind die Marke?

Ich bin das Gesicht des Experiments.

Schön formuliert.

Es ist ein Experiment.

Peter Unfried, 48, ist Chefreporter der taz