Schluss mit der Natur

AUSSTELLUNG Die Weserburg zeigt historische Landschaftsmalerei inmitten moderner Kunst. „Land in Sicht“ will das Vertraute neu entdecken – und hält dieses Versprechen

Die Bilder sind montiert: Ski-Lifte, Straßen und Gebäude wurden entfernt. Wer das aber als Wüten gegen Zivilisation und Massentourismus versteht, liegt falsch

VON JAN-PAUL KOOPMANN

Ein bisschen irritiert es ja schon, das 17. Jahrhundert in der Weserburg – dem „Museum für Gegenwartskunst“. Und natürlich liegt es nahe, die neue Sonderausstellung als Kommentar auf die schwelende Debatte um die Unabhängigkeit von der Kunsthalle zu verstehen. Denn obwohl hinter dem Einkauf nur ein günstiges Gesamtpaket der Bochumer Sammlung „Situation Kunst“ steckt, klingt es doch streitlustig, „400 Jahre Landschaftsbilder“ anzupreisen.

Der im Ausstellungstitel angedrohte kunsthistorische Überblick einer doch eher biederen Gattung bleibt erfreulicherweise aus. Statt in chronologischer Ordnung hängen die rund 75 Gemälde munter durcheinander. Dazwischen große Namen: Malerei von Gerhard Richter, der zu den teuersten Gegenwartskünstlern zählt, und Fotografien von Andreas Gursky. In der Nachbarschaft zu den klassischen Landschaftsbildern sollen sie Einblicke in die Gesellschaftlichkeit von Natur geben – und in menschliche Eingriffe. So etwa in Simone Niewegs großformatiger Fotografie einer zerfurchten Ackerfläche, in der braune Pfützen stehen – eine schon für sich zerklüftete Miniaturlandschaft auf dem platten Land. Von Natur ist hier inmitten der industrialisierten Landwirtschaft nicht mehr zu sprechen.

Doch auch in der vermeintlichen Idylle der holländischen Landschaftsansichten aus dem 17. Jahrhundert ist der Mensch zugegen. Holzfäller am Waldrand treten freilich noch nicht als Zerstörer auf, aber trotzdem verweisen die Äxte am Gehölz doch auf die Rodung des ganzen Waldes. Der Kontrast zu den Bildern von heute erzwingt ihn dann tatsächlich: den Blick der Spätmoderne auf das historische Werk.

Überraschenderweise ist der Mensch in den zeitgenössischen Arbeiten kaum zu sehen. Die großformatigen Gebirgsfotos von Michael Reisch zeigen etwa vermeintlich zeitlose Naturschönheit, die misstrauisch macht. Die Bilder sind montiert: Ski-Lifts, Straßen und Gebäude wurden entfernt. Wer das aber als künstlerisches Wüten gegen Zivilisation und Massentourismus versteht, liegt falsch. Tatsächlich hat Reisch auch die Natur selbst bearbeitet und willkürlich die gerade so beständigen Felsformationen bearbeitet.

Wie Korrespondenz über die Jahrhunderte funktioniert, zeigt sich am ausdrücklichsten an Caspar David Friedrichs „Felsental“, auf dem das Grab des Arminius zu sehen sein soll. Im LED-Leuchtkasten neben dem düsteren Ölgemälde hängt eine fotografische Arbeit des Japaners Hiroyuki Masuyama, die scheinbar das gleiche Tal zeigt. Über einem finsteren Höhleneingang hängen sogar noch die gleichen Bäumchen am Fels. Masuyama hat das Gemälde aus Versatzstücken nachgebaut. Doch das Original entsprang bereits völkisch motivierter Fantasie. Das Grab des Cheruskerfürsten gibt es nicht. Und spätestens bei diesen politischen Nicht-Landschaften schwindet der Naturbegriff endgültig aus dem Blick. Die Natur formt keine Einheit mehr und zerfällt in ihre Fragmente und Strukturen.

Geschickt in einem Nebenraum versteckt, glänzt schließlich, was auch eine traurig-reaktionäre Pointe hätten sein können: Neben Roy Lichtensteins abstrakter Pop-Art-Sonne hängen Fotografien von Atompilzen. Beeindruckende Formationen, die selbst nur wenige Sekunden im Jahr 1946 bestanden. Dokumentiert wurde die Zerstörungsgewalt nicht vom Künstler, sondern vom Anonymus im Dienste von Nasa und US-Navy. So werden fast nebenbei die Grenzen der Kunst ausgelotet – tatsächlich ein starker Eindruck, den die ungewöhnliche Ausstellung mit dem staubigen Untertitel am Ende hinterlässt.

„Land in Sicht“, bis 27. September